Ausgezeichnet: Wie Wohnraum bezahlbar werden kann

Mietpreise steigen, Sozialwohnungen fehlen? Die Stadt Münster stemmt sich gegen diese Entwicklung - mit Erfolg.

Münster wächst, die Mieten ziehen an. Einer von denen, die in der westfälischen Stadt gegensteuern, ist Matthias Peck, der Dezernent für Wohnungsversorgung, Immobilien und Nachhaltigkeit im Rathaus. „Niemand will mittelalterliche Verhältnisse, wo nur noch reiche Kaufleute in der Innenstadt wohnen, die Krankenpfleger, Polizisten, Erzieher von außerhalb in die Stadt pendeln“, sagt er. Die 311.000-Einwohner-Stadt geht nun einen ganz eigenen Weg.

Sie hat ein Modell entwickelt, mit dem sie Wohnungen schafft, die sich nicht nur Top-, sondern auch Normal- und Geringverdiener leisten können. Seit kurzem darf sie sich auch deshalb zu den nachhaltigsten Städten Deutschlands zählen, sie erhielt den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2019.

In Berlin, in Hamburg, in München, aber auch in kleineren Städten ist das Wohnen für zahlreiche Haushalte längst unbezahlbar geworden. Erst im Januar hat das unabhängige Empirica-Institut die Studie „Wachsende Ungleichheit durch Wohnraum in Deutschland“ veröffentlicht. Demnach haben sich vor allem für Alleinerziehende und für Familien mit Kindern die Chancen verschlechtert, sich eine Mietwohnung leisten zu können.

Wohnraum schaffen

Die Autoren Timo Heyn und Marco Schmandt fordern, das Wohngeld besser an den Mietpreisen vor Ort zu orientieren und Hilfen schneller als bisher zu erhöhen. Aber vor allem ist für sie klar: „Mittel- und langfristig muss mehr Wohnraum geschaffen werden, um eine auf Dauer wachsende Anzahl an Abhängigkeiten von Transferleistungen zu vermeiden.“

In Münster begann das große Umdenken schon vor einigen Jahren. Da änderten sich plötzlich die Zeiten. Waren bis dahin viele vor der Hektik in den Städten aufs Land geflüchtet, kamen sie nun wieder in die Stadt. Münster hatte über die Jahre kaum noch Kitas gebaut, über die Schließung von Schulen nachgedacht, sich von Immobilien getrennt und die Entwicklung von Bauland weitestgehend den Privaten überlassen. Im Jahr 2014 beschloss der Rat das Münsteraner Modell einstimmig. Der offizielle Name: Sozialgerechte Bodennutzung Münster, kurz SoBoMünster.

Münster landete keine zwei Jahre später im „Wohnatlas 2016 – Leben in der Stadt“, den die Postbank jedes Jahr von Wirtschaftsexperten erstellen lässt, bereits an der Spitze: Im Vergleich zum Bestand seit dem Jahr 2000 waren dort so viele Neubauten entstanden wie nirgendwo sonst in der Republik. Bauen ist allerdings nur das eine, erschwingliche Preise sind das andere.

Drei Hebel für Bezahlbarkeit

Im Münsteraner Modell gebe es „drei entscheidende Hebel“, sagt Peck. Erstens: Im Außenbereich bekommt Baurecht für neues Bauland nur, wer sein Grundstück mindestens zur Hälfte an die Stadt verkauft. Zweitens: Die Stadt verkauft ihre Grundstücke nicht nach dem Höchstgebot, sondern zum Festpreis und an denjenigen, der für die Mieter die niedrigsten Startmieten anbietet. Peck: „Das ist ein Wettbewerb nach unten.“

Und drittens: Investoren verpflichten sich im Innenbereich bei neuen oder geänderten Bebauungsplanungen im Wohnungsbau einen Anteil von mindestens 30 Prozent Sozialwohnungen zu schaffen, auch in bester Wohnlage am Wasser. Weitere 30 Prozent müssen förderfähige Wohnungen ausmachen. Bei städtischen Flächen für Mehrfamilienhäuser gibt es sogar eine 60-Prozent-Quote.

6,50 Euro Startmiete

Funktioniert das? Die Zahlen legen das nahe. Peck sagt: „Wir bekommen bei 80 Prozent aller Ankäufe durch die Stadt nicht nur die Hälfte, sondern das ganze Grundstück.“ Als 2017 die ersten Wohnbau-Projekte nach den SoBoMünster-Kriterien bewilligungsreif wurden, hätten dazu 310 Sozialwohnungen gehört. 2018 seien es bereits 385 gewesen. „Wir sind zuversichtlich, das noch zu steigern“, sagt Peck. Und: Die Startmiete von 9,50 Euro pro Quadratmeter bei frei finanzierten Wohnungen sei unterboten worden. Das Ergebnis lag bei rund 6,50 Euro. Peck sieht „eine Trendwende“. Diese sei auch in anderen Kommunen machbar.

Es gibt schon lange ein Münchener, auch ein Frankfurter Modell. Münster konnte sich einiges abgucken – und dann für sich weiterentwickeln.

„Sie brauchen ein identitätsstiftendes Modell, müssen aber nicht alles neu erfinden“, rät Peck. Die Besonderheit in Münster, die er unbedingt für nachahmenswert hält, ist der Arbeitskreis Wohnen. In ihm sitzen Vertreterinnen und Vertreter von Immobilienwirtschaft, Kreditinstituten, Mietervereinen und der Stadt. Anders gesagt: Es hilft, von vornherein alle einzubeziehen – für die Zukunft der Stadt.