Aus dem Elfenbeinturm unters Volk

Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in der Wissenschaft? Und wie kann der Hochschulbetrieb seinen Beitrag dazu organisieren? Das war ein Thema auf der RNE-Jahreskonferenz.

Vor vier Jahren kürte Bundeskanzlerin Angela Merkel Nachhaltigkeit zum Thema des Wissenschaftsjahres. „Damals wollten wir eine Nachhaltigkeitscharta für die Wissenschaft auf den Weg bringen und sind gescheitert“, sagte Georg Schütte, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) auf der Jahreskonferenz des RNE. „Vor allem, weil sich keiner von der Politik reinreden lassen wollte.“

Dass Wissenschaft eine zentrale Bedeutung auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit hat, zumindest in diesem Punkt waren sich die Teilnehmenden des Forums „über_denken“  einig, schließlich wären die Weltklimakonferenz COP21 oder auch die neuen globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs) ohne wissenschaftliche Arbeit nicht möglich gewesen. Wie innovativ, transformativ und nachhaltig das deutsche Wissenschaftssystem allerdings schon ist und wie und durch wen nachhaltige Wissenschaft künftig gefördert wird, diese Fragen mündeten auf der RNE-Jahreskonferenz in eine anregende Diskussion.
Historisch überholtes Weltbild

Die Nachhaltigkeitsprobleme der Welt wie Klimawandel, Ressourcenknappheit, Degradation der Böden, Armut oder fehlende Bildung werden von vielen Institutionen immer bilderreicher vermittelt. Was sich als multidisziplinäres Problem formuliert, trifft in Hochschulen allerdings nur dann auf Resonanz, wenn disziplinäre Grenzen überwunden werden.
Das Selbstbild, Speerspitze der Innovation zu sein, sei dabei leider oft weit von der Realität entfernt, sagte Arno Bammé, emeritierter Professor für Didaktik der Weiterbildung am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung der Alpen-Adria-Universität in Klagenfurt. Innovation komme eher von außen, von den Studierenden oder aus der Zivilgesellschaft.
„Wie heute gelehrt wird, folgt einem historisch überholten Weltbild, das seinen Ursprung in der griechischen Antike hat, eine Welt des Seins, die wir erklären. Heute aber leben wir in einer Welt des Werdens, die wir aktiv gestalten müssen“, sagte Bammé. Es gehe nicht mehr darum, Wahrheiten in der Wirklichkeit zu entdecken, sondern über das Wirklichwerden von Wahrheiten, die wir selbst produzieren können, zu entscheiden.
Hochschule ist mehr als ein energieeffizienter Campus
Die Gesellschaft ist heute selbst zum Labor geworden. „Um gesellschaftliche Probleme nachhaltig zu lösen, brauchen wir tiefes und breites Wissen, und das fördern wir am besten im Team zutage“, sagte Bammé.

Eine nachhaltige Hochschule muss mehr sein als nur ein energieeffizienter Campus wie der Hochschulkomplex der Technischen Universität (TU) Berlin in Charlottenburg. Es geht um eine Transformationsbildung, wie ihn der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung für Globale Umweltveränderungen schon vor Jahren forderte.
„Universitäten kommt eine zentrale Rolle für Nachhaltigkeit zu. Die TU Berlin wird sich dafür in den nächsten Jahren verstärkt einsetzen“, sagte Professor Christian Thomsen, Präsident der TU Berlin. Ein erster Schritt in diese Richtung ist getan: Die TU hat kürzlich  einen eigenen Nachhaltigkeitsbeirat gegründet. Zudem kann sich Thomsen vorstellen, den hochschulspezifischen Nachhaltigkeitskodex des Nachhaltigkeitsrates für seine Hochschule anzuwenden.

Forschungsfreiheit versus Vorgabe der Politik

Aber kann der Wissenschaftsbetrieb seinen Beitrag zur Nachhaltigkeit autonom organisieren oder bedarf es dafür einer gesellschaftspolitischen Programmplanung? „Wir machen das selbst, wir brauchen keine Vorgaben von außen. Politisch gesteuerte Wissenschaft ist keine gute Wissenschaft“, verteidigte Thomsen sogleich die Forschungsfreiheit im Grundgesetz.
Hubert Weiger, Präsident des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Mitglied im Nachhaltigkeitsrat, konnte dem nur teilweise zustimmen: „Freiheit der Forschung in allen Ehren, aber nicht ohne gesellschaftliche Verantwortungsübernahme durch die Wissenschaft und politische Rahmenbedingungen, die dauerhafte Beteiligungsmöglichkeiten seitens der Zivilgesellschaft ermöglichen."

Auch Staatssekretär Georg Schütte, Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), verwies auf den Zielkonflikt zwischen Forschungsfreiheit und Zielvorgaben vom Staat, sagte aber, dass man diesen durch eine größere Vielfalt bei der Förderung überwinden könne, indem man Forschung, die gesellschaftlich relevante Probleme löst, gezielt und wettbewerbsorientiert fördere.

Transformative Wissenschaft konkret machen

Mit Fragestellungen und Zielkonflikten rund um Forschung, die gesellschaftlich relevante Probleme löst, beschäftigt sich z. B. das von Professor Rainer Danielzyk vorgestellte Verbundprojekt „Leitfaden Nachhaltigkeitsmanagement (LeNa)“ der Fraunhofer-Gesellschaft, der Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft.

LeNa hat zum Ziel, Nachhaltigkeit in außeruniversitären Einrichtungen besser zu verankern und kann als paradigmatisch für eine neue Art der Forschung gesehen werden, wenngleich noch viele Fragen offen sind, so Danielzyk.  „Solange das gesamte System auf Exzellenz getrimmt ist und sich auch danach ausrichtet, reden wir über Fehlanreize“, verdeutlichte Mandy Singer-Brodowski, Wissenschaftliche Koordinatorin am Zentrum für Transformationsforschung und Nachhaltigkeit (TransZent) in Wuppertal.

Das jetzige Anreizsystem sei so aufgebaut, dass sich Wissenschaftler einzig dran messen, ob sie in den großen US-amerikanischen Journals veröffentlichen. Das aber diszipliniere nur innerhalb des eigenen Fachs und führe dazu, dass sich Wissenschaftler von gesellschaftlichen Problemen abwenden. Der einsame Wissenschaftler im Elfenbeinturm? Geht es nach Singer-Brodowski, dann hat die Zukunft längst begonnen.
Und zwar dank der Studierenden selbst, die außerhalb verkrusteter Strukturen denken und so Prozesse antreiben, die die Etablierten nicht anstoßen würden. In Wuppertal arbeiten sie in sogenannten Reallaboren zusammen mit Praxispartnern aus der Zivilgesellschaft, die wiederum ihr Wissen in den Forschungsprozess einbringen.
So hätten Wissenschaftler zum Beispiel die Frage gestellt, was gutes Leben in Wuppertal ausmache. Dafür haben sie sich in den Quartieren mit der Zivilgesellschaft ausgetauscht. Herausgekommen sind Zwischennutzungskonzepte für Studenten und Künstler, die Wissenschaftler jetzt nicht nur erforschen, sondern selbst initiiert haben.