Auf dem Weg in die kohlefreie Zukunft

Wie wird der notwendige Umbau der Kohleregionen auch sozial gerecht? Bei der Diskussionsrunde, zu der die Regionale Netzstelle Nachhaltigkeitsstrategien West eingeladen hat, kamen so viele Vertreter verschiedener Perspektiven zusammen, wie sonst selten. Gemeinsames Fazit: Bürger müssen mehr beteiligt werden.

Noch schaufeln gewaltige Bagger die Braunkohle aus den Tagebauen. Doch der Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle kommt. Im Jahr 2038 spätestens geht das letzte Kraftwerk vom Netz, dann ist Schluss. So hatte es im Januar die 28-köpfige Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung in ihrem Abschlussbericht empfohlen.
Was heißt das für die betroffenen Regionen, für die Jobs, für die Zukunft? Wie steht es dabei um die soziale Gerechtigkeit?

RENN.west, eine der vier Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien, hat Anfang Juli ins Rathaus von Eschweiler – der Deutschen Nachhaltigkeitsstadt 2019 mittlerer Größe – eingeladen, um sich diesen Fragen und deren Antworten zu nähern. Selten ist der notwendige Strukturwandel in so einem Kreis debattiert worden. Gekommen sind rund 100 Gäste, darunter Vertreterinnen und Vertreter von Parteien, der Verwaltung, der Branche der konventionellen wie auch der erneuerbaren Energie, und auch Anti-Kohle-Aktivistinnen und Aktivisten.

Strukturwandel als Chance

Der Strukturwandel – er sei auch eine „Chance“ für die Region, meint Rudi Bertram (SPD) Bürgermeister von Eschweiler. Die etwa 58.000-Einwohner-Stadt liegt mitten im vom Energieversorger RWE dominierten Rheinischen Revier im Städtedreieck zwischen Aachen, Düsseldorf und Köln. 30.000 Arbeitsplätze hängen in der Region von der Braunkohle ab. Den Mitarbeitenden von RWE, Deutschlands größtem Stromversorger, vorzuwerfen, sie seien schuld, dass Kinder und Enkelkinder keine Zukunft mehr haben, helfe nicht, so Bertram weiter: „Wir müssen im gesamten Rheinischen Revier dafür sorgen, dass es eine Aufbruchsstimmung gibt.“

Pirmin Spiegel leitet das katholische Hilfswerk Misereor. Für ihn braucht es – wie für viele andere in der Runde auch – Tempo. Der Kohleausstieg müsse beschleunigt werden, erklärt er, „sonst werden die Kosten für unseren Energiebedarf weiterhin auch auf andere Länder und Menschen verlagert.“ In vielen Regionen der Welt, etwa in Südafrika, werde Steinkohle abgebaut, um sie dann in deutschen Kraftwerken zu verbrennen. Längst seien aber – das zeigten Wissenschaftler unter anderem am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) – Belastungsgrenzen des Planeten erreicht.

Der Bund hilft zunächst mit einem Sofortprogramm von 240 Millionen Euro, 37 Prozent davon sollen in das Rheinische Revier fließen. Bis zum Ausstiegsdatum sollen in die betroffenen Kohlegebiete im Osten und im Westen insgesamt rund 40 Milliarden Euro fließen – 14 Milliarden Euro direkt, 26 Milliarden in Form von Vorhaben des Bundes.

Solidarität verdient

Der Kohlestrom habe „wesentlich zum Wohlstand der Republik beigetragen“, sagt Thomas Verres, der im Bundesumweltministerium das Referat „Gesellschaftspolitische Grundsatzfragen, Strukturwandel, Berichte“ leitet. Die Reviere hätten die „Solidarität aller verdient“. Es gehe darum, „Arbeitsplätze sowie Lebensqualität zu erhalten und einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz zu erreichen.“

Wie das Gros der 40 Milliarden Euro Hilfen verteilt wird, ist offen. Damit sollen „neue Arbeitsplätze geschaffen werden“, erklärte Verres, sollten Behörden, Forschungsinstitute, Industriebetriebe angesiedelt, Straßen und Schienenwege neu gebaut werden. In den kommenden Monaten wird der Bundestag voraussichtlich ein „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ verabschieden, das – so Verres – „einen Rahmen setzt“. Die Eckpunkte dazu hatte die Regierung noch im Mai, kurz vor der Europawahl, verabschiedet.

Der Umbau läuft

Das Rheinische Revier sucht schon längst nach Wegen in eine kohlefreie Zukunft. Eschweiler, denkt trotz seiner langen Tradition als Bergbaustadt längst um. Alle städtischen Gebäude sind energetisch saniert worden. Ihr Strombedarf wird zu 100 Prozent mit Erneuerbaren Energien aus Windkraft und Photovoltaik gedeckt. So beschreibt es die Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt.

Raphael Jonas, Geschäftsführer der Abteilung Innovation, Umwelt und Industrie der Industrie und Handelskammer (IHK) Aachen, weist darauf hin, dass es in der Region sehr viel energieintensive Unternehmen gebe, aber „die Unternehmen sind wach geworden und möchten selbst was tun.“

Eine eigens geschaffene Zukunftsagentur Rheinisches Revier koordiniert zahlreiche Projekte, die neue Perspektiven für die Wirtschaft eröffnen sollen. Das sind beispielsweise Innovationen in der Photovoltaik oder fortschrittliche Mobilitätskonzepte.

Antje Grothus engagiert sich im Zivilgesellschaftlichen Koordinierungskreis Strukturwandel. Der Kreis hat sich 2018 gegründet, darin sitzen Vertreterinnen und Vertreter aus mehr als 20 Organisationen. Grothus fehlt die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger bei der Zukunftsagentur. Aber nicht nur dort, auch in den Regierungen. „Wir finden kein Gehör“, sagt sie. Welches Projekt nun zum Beispiel gefördert würde, um die Regionen voranzubringen, sei „nicht transparent“.

Bürgerbeteiligung hilft

Werden künftig zum Beispiel Arbeitsplätze im Pflegebereich besonders gefördert, wie es Dorothee Häußermann, die sich in der Klimagerechtigkeits- und Degrowth-Bewegung engagiert, vorschlägt? Thomas Hartmann, Gewerkschaftssekretär der Region NRW Süd-West des Deutschen Gewerkschaftsbundes, warnt hingegen davor, sich nur einzelne Berufsfelder vorzunehmen. Er meint, es müsse um ganz „neue Industriezweige gehen, die mehr sind als nur Forschungsinstitute“.

Grothus ist sich sicher, dass der Umbau der Regionen nur gelingen kann, wenn die Leute vor Ort stark eingebunden werden. Sie mahnt: „Nicht nur Kärtchen von Bürgern einsammeln – und dann tauchen die darauf geschriebenen Ideen nachher nie wieder auf“. Die Bevölkerung müsse „mitgenommen“ werden. Ihr Mitstreiter im Koordinierungskreis, Andreas Büttgen, sagt es so: „Kompetenzen von vor Ort nutzen“.

Der Koordinierungskreis hat bereits ein Konzept „Revierperspektiven Rheinland Gutes Leben – Gute Arbeit“ vorgelegt. Darin finden sich konkrete Ideen und Projekte, um eine zukunftsfähige Mobilität, mehr Bürgerbeteiligung oder eine „Diversifizierte Industrie- und Gewerbelandschaft mit breit gefächertem, qualifiziertem Arbeitsplatzangebot und arbeitsnahem Wohnraum“ entwickeln zu können. Grundsätzlich müsse Arbeit klima- und umweltfreundlich, tariflich abgesichert und zukunftsfähig sein, erklärt Grothus, damit die Menschen nicht wieder „eine Hängepartie“ erleben und um ihren Job bangen müssen.

Am Ende müsse der AfD Wahlkampfmunition genommen werden, meint Bürgermeister Bertram. Die Partei warnt immer wieder vor einem Absturz der bald ehemaligen Kohlereviere. Den Betroffenen müsse man klarmachen, „wir haben Euch nicht vergessen!“, sagt der SPD-Mann. Miteinander reden, nicht nur in ausgewählten Kreisen, helfe.

Die nächste Veranstaltung von RENN.west findet am 9. September 2019 in Ingelheim am Rhein bei Mainz statt. Das Thema: Soziale Gerechtigkeit im Rahmen der planetaren Grenzen.