Anders telefonieren mit nachhaltigem Mobilfunk

Das Freiburger Start-up WEtell will nachhaltigen Mobilfunk in Deutschland etablieren – mit strengem Datenschutz, einer klimapositiven CO2-Bilanz, zertifiziert nach den Regeln der Gemeinwohlökonomie. Dafür ist das Unternehmen als Transformationsprojekt Nachhaltigkeit 2019 ausgezeichnet worden.

In Deutschland gibt es nachhaltige Lebensmittel, Ökostrom, faire Kleidung – in fast allen Bereichen können sich Konsumentinnen und Konsumenten mittlerweile für eine Alternative entscheiden. Nur nicht im Mobilfunk. Diese Lücke wollen drei Gründerinnen und Gründer aus Freiburg mit dem Start-up WEtell schließen. “Klimaschutz, Datenschutz, Fairness und Transparenz”, verspricht der Anbieter auf seiner Homepage – und betritt damit tatsächlich Neuland. Nur der Anbieter Goood Mobile hat ähnliche Ziele, dort werden Tarifpakete von Partnern mit einem Aufschlag versehen, der an soziale Projekte fließt. Zudem spendet das Unternehmen ein Viertel des Gewinns. “Ansonsten ist meinen Kollegen und mir kein weiterer Mobilfunk-Anbieter mit einem expliziten Öko-Ansatz bekannt”, schreibt Verena Blöcher, Sprecherin des Vergleichsportals Verivox.

Der Ansatz von WEtell geht weiter als der von Goood Mobile. Und das Wichtigste vorab: Derzeit lassen sich keine weiteren Mobilfunkverträge abschließen. Vorab versorgt WEtell lediglich knapp über 500 Kundinnen und Kunden, die über den Partner Newsim telefonieren. Interessierte können derzeit aber Gutscheine kaufen, um die Idee zu unterstützten. Der Markteintritt ist Anfang 2020 geplant, ein genaues Datum steht aber noch nicht fest. “Die Netzanbindung ist noch nicht geklärt. Wir stehen in Verhandlungen mit einem der drei Netzbetreiber”, sagt Nico Tucher, einer der Gründer des Unternehmens.

Die Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien (RENN) hat das Konzept der Freiburger überzeugt. Vier Projekte in den Regionen Nord, Süd, West und Mitte zeichnen die RENN in Kooperation mit dem Rat für Nachhaltige Entwicklung jährlich mit dem Titel “Transformationsprojekt” aus, weil sie einen besonderen Beitrag hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft leisten. “Das Unternehmen zeigt, wie konsequentes Engagement auch in einer Branche funktioniert, die bisher kaum Interesse an Klimaschutz, Fairness und Datenschutz hat”, erklärt die Jury.

Bau von Ökostromanlagen

Die Ansprüche der drei Gründer Alma Spribille, Andreas Schmucker und Nico Tucher seien hoch und für die Branche ungewöhnlich, das mache den Aufbau des Unternehmens kompliziert, sagt Tucher. Alle drei haben einen technischen Hintergrund, arbeiten gemeinsam beim Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg und engagieren sich bei Ingenieure ohne Grenzen. “Wir kommen alle selbst aus dem Nachhaltigkeitsbereich. Auch auf persönlicher Ebene”, sagt Tucher. Seit Februar 2018 verfolgen sie die Idee von WEtell, Anfang 2019 sammelten sie auf Startnext 181.000 Euro per Crowdfunding, seit Juli 2019 sind sie eine GmbH. Außerdem erhielten die Drei ein Exist-Gründerstipendium des Bundeswirtschaftsministeriums und sammelten in einer ersten Finanzierungsrunde Geld von Privatpersonen und Unternehmen aus dem Nachhaltigkeitsbereich ein – von welchen genau, das soll erst zum Markteintritt kommuniziert werden.

WEtell will seine CO2-Emissionen komplett ausgleichen. Die lassen sich zunächst nicht vermeiden, denn die drei Mobilfunknetze in Deutschland gehören der Telekom, Vodafone und Telefónica. Alle der über 100 Mobilfunkprovider mit 138 Millionen Mobilfunkanschlüssen in Deutschland nutzen eines der drei Netze und zahlen dafür an die Betreiber. So wird das auch bei WEtell sein. Das Unternehmen will deshalb neue Ökostromanlagen in Deutschland bauen, die mehr Strom erzeugen, als der Mobilfunk von WEtell verbraucht. Das sei zwar eine Kompensation, „aber eine auf höchstem Niveau“, sagt Tucher. WEtell will also nicht nur vorhandenen Ökostrom kaufen, sondern selbst produzieren, und damit helfen, mit dem zusätzlichen Angebot fossile Anlagen zu verdrängen.

Keine ausbeuterischen Callcenter

Auch in Sachen Datenschutz will WEtell anders sein, sich an dem Mailanbieter Posteo orientieren und so wenig Daten so kurz wie möglich speichern. „Posteo ist ein gutes Vorbild“, sagt Friedemann Ebelt vom Verein Digitalcourage, der sich für Bürgerrechte und Datenschutz im digitalen Zeitalter einsetzt. WEtell verspricht, sämtliche Daten verschlüsselt in Deutschland zu speichern, sie sollen weder verkauft noch für Werbezwecke genutzt werden – was ohne Einwilligung der Nutzerinnen und Nutzer aber auch bei anderen Anbietern ein Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung wäre, schreibt Ebelt. „Die Kritik von WEtell an der Konkurrenz, dass Daten möglichst lange gespeichert werden, ist meiner Einschätzung nach aber berechtigt“, so Ebelt.

Der Netzbetreiber hat lediglich die anonymen Verbindungsdaten und Telefonnummern, nicht aber die Klarnamen oder Kontodaten der Kundinnen und Kunden. Sollte der Staat Daten etwa zum Zweck der Strafverfolgung anfordern, verspricht WEtell, das nach Vorbild von Posteo in einem Transparenzbericht mitzuteilen. Sollte die EU, wie derzeit diskutiert, eine neue Vorratsdatenspeicherung beschließen, muss WEtell allerdings wie alle anderen Anbieter auch entsprechend Daten speichern.

WEtell will außerdem Kundenservice und Rechnungen im eigenen Haus halten – eine Zusammenarbeit mit möglichst billigen Callcentern sei deshalb ausgeschlossen, sagt Tucher. Nachhaltig wirtschaftende Callcenter seien ohnehin nicht zu finden. Ein großes Problem der Mobilfunkbranche will WEtell ebenfalls angehen: Normale Anbieter versuchen mit langen Vertragslaufzeiten von bis zu 24 Monaten inklusive Smartphone die Kundinnen und Kunden dazu zu bringen, möglichst oft ein neues Endgerät zu kaufen – nicht gerade nachhaltig. „Wir empfehlen, das alte Handy möglichst lang zu nutzen“, sagt Tucher und verspricht monatlich kündbare Verträge. Falls doch jemand ein neues Gerät brauche, wolle man mit Fairphone und Shiftphone kooperieren.

Bleiben zwei Fragen: der Preis und was mit den Einnahmen geschieht. Die Tarife bei WEtell seien vergleichsweise teuer, schreibt Verivox. WEtell ist zudem eine GmbH, also gewinnorientiert, das allerdings ganz bewusst, sagt Tucher. “Wir werden keinen großen Impact haben, wenn wir ein kleiner Player bleiben, sondern nur, wenn wir Erfolg haben und andere Unternehmen sich unser Modell abschauen”, glaubt er. Dazu sei eben eine Gewinnorientierung nötig – allerdings nach den Regeln der Gemeinwohlökonomie. Entsprechend will sich das Unternehmen zertifizieren lassen. Genaue Regeln zum Umgang mit Gewinnen gibt es aber noch nicht, denn mit Überschüssen sei vorerst ohnehin nicht zu rechnen. “Wir müssen jetzt erstmal das Unternehmen auf die Beine stellen”, sagt Tucher.