Unterschätzter Klimaschützer

In der Nähe von Greifswald steht ein kleines fahrbares Haus, gebaut aus der Biomasse von Moorpflanzen. Denn nasse Moore sind wichtige Kohlenstoffspeicher.

„Intakte Moore schützen das Klima”, sagt Torsten Galke, „aber die meisten Menschen wissen das nicht.” Auch wenn sie nur drei Prozent der Erdoberfläche bedecken, speichern Moore ein Drittel des globalen Boden-Kohlenstoffs – und damit mehr als als doppelt so viel wie alle Wälder auf der Erde zusammengenommen. Umso dramatischer ist es, dass man sie über Jahrhunderte lang entwässert und dabei den Kohlenstoff freigesetzt hat, um die Flächen für die Land- und Forstwirtschaft nutzen zu können.

Dabei können auch nasse Moore genutzt werden, das nennt sich „Paludi-Kultur”. Torsten Galke, Mitglied im „Verein zur Förderung solidarischer Lebensgestaltung“ (SoLe e.V.) in Greifswald, hat in den letzten Monaten viel Zeit damit verbracht zu beweisen, was man mit den Produkten dieser Paludi-Kultur machen kann: Mit Materialien aus Pflanzen, die in nassen Mooren wachsen, hat er ein so genanntes „Tiny House” gebaut, ein kleines, voll funktionstüchtiges Gebäude auf Rädern. Dabei hat Galke zum Beispiel Platten aus gepressten Rohrkolben und Schilf oder Erlenholz als Bau- und Dämmstoff und für die Einrichtung verwendet. Das Projekt mit dem Namen „Klimaschutz in Vorpommern – von der Einöde zum kulturellen Kleinod” wurde mit knapp 50.000 Euro vom Fonds Nachhaltigkeitskultur des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) gefördert.

Rohrkolben, Schilf und Erle

„So konnten wir zeigen, wie gut diese Materialien zum Bauen geeignet sind”, sagt Galke. Er hofft, dadurch die Nachfrage anzukurbeln. Denn: „Wir müssen unbedingt umdenken.” Statt auf trockengelegtem Moor Mais oder Grünland anzubauen wäre es viel besser für das Klima, wenn im nassen Moor Rohrkolben oder Schilf und andere angepasste Gräser wachsen würden.

Doch derzeit kommen die Materialien für das Tiny House nicht nur aus der Region, sondern zum Teil aus dem Ausland. Ursprünglich bedeckten Moore zwar mit 1,5 Millionen Hektar eine Fläche von 4,2 Prozent der deutschen Landesfläche. Heute allerdings sind 95 Prozent davon entwässert, abgetorft, bebaut oder werden landwirtschaftlich oder forstwirtschaftlich genutzt. Bundesweit, schätzt der Naturschutzbund Deutschland (Nabu), werden dadurch etwa 44 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich freigesetzt – etwa fünf Prozent der Gesamtemissionen der Bundesrepublik Deutschland. In Mecklenburg-Vorpommern sind sogar etwa 13 Prozent der Landfläche von Mooren bedeckt, etwa 288.000 Hektar, ein Drittel davon wäre prinzipiell für den Anbau von Rohrkolben und Schilf geeignet.

2019 hatte das Greifswald Moor Centrum – eine Kooperation der Universität Greifswald, der Michael Succow Stiftung und Duene e.V. – im Auftrag der Stadt Greifwald die „Greifswalder Moorstudie” veröffentlicht, mit Handlungsempfehlungen für die Moorflächen im Greifswalder Stadtgebiet. Auch die Experten schrieben: „Moor muss nass”. Die Wiedervernässung der Moore sei grundsätzliche Voraussetzung, um die noch verbliebenen stark degradierten Moore Greifswalds zu sichern und deren Klimaschäden zu minimieren.

Tiny House soll in Serie gehen

Torsten Galke und die Mitglieder von SoLe hoffen nun, dass ihr kleines Häuschen bald in Serie gehen kann: „Wir brauchen die Nachfrage, um zu beweisen, dass es auch bei uns vor der Haustür sinnvoll ist, Moore wiederzuvernässen und darin Paludi-Kultur zu betreiben.” Deswegen plant sein Verein, das Projekt in eine eigene Unternehmung namens Moor And More auszugründen.

Galkes Heimatstadt Greifswald ist in Mecklenburg-Vorpommern eine Vorreiter-Kommune in Sachen Nachhaltigkeit, sie war eben erst für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2021 nominiert. Bereits vor zwei Jahren hat sich die Bürgerschaft der Universitäts- und Hansestadt mit einer Resolution zu Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen bekannt. „Und schon 2017 hatte die Bürgerschaft beschlossen, alle Bauvorhaben der Stadt nach Kriterien des nachhaltigen Bauens zu errichten”, sagt Greifswalds Klimaschutzbeauftragter Stephan Braun. „Die Idee, Tiny Houses aus Paludi-Kultur herzustellen, ist ein Baustein auf dem Weg zu einem nachhaltigeren Lebensstil.”

Es geht bei dem Greifswalder Tiny House aber nicht nur um Paludi-Kultur. Das Haus zeigt auch, wie lokale Wertschöpfung durch nachhaltige Landnutzung und nachhaltigen Tourismus möglich ist: „Deshalb stellen wir das Haus auch als Ferienhaus, Büro auf Zeit und für künstlerische Kontemplation zur Verfügung”, erklärt Galke. Der Fonds Nachhaltigkeitskultur hat dafür im Rahmen seiner Förderung zwei Stipendien für Künstlerinnen und Künstler bereitgestellt, die sich mit dieser Unterstützung für jeweils drei Wochen im August und September 2020 in die vorpommerschen Moore zurückzogen und Landschaft, Natur, ländliche Leere und praktischen Klimaschutz erleben und künstlerisch verarbeitet haben. “Mit ihrer Kunst tragen sie zu einem anderen Blick auf Moore in der Gesellschaft bei”, so Galke.