„Wir starten eine nationale Plattform Nachhaltigkeit“

Um die 17 globalen Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, müssen die Schnittstellen zwischen Wissenschaft, Politik und Gesellschaft weiter ausgestaltet werden, sagt der Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Georg Schütte.

Herr Schütte, Krieg in Syrien, Hunger in Äthiopien, undurchschaubare weltweite Wertschöpfungs- und Lieferketten – von der Zukunft, die die Vereinten Nationen in ihren 17 globalen Nachhaltigkeitszielen, den SDGs, skizziert haben, ist die Welt weit entfernt. Wo sehen Sie den größten Forschungsbedarf?
Georg Schütte: Ich sehe nicht, dass die Welt weit von dieser Vision entfernt ist. Es ist eine große Leistung der Weltgemeinschaft, sich überhaupt auf die SDGs verständigt zu haben. Diese wird nicht dadurch geschmälert, dass die Tragik der Kriege an vorderster Stelle der medialen Aufmerksamkeit steht. In den Vereinten Nationen ist nun vielmehr ein Prozess angelegt, der längerfristig wirken kann. Wir werden dazu beitragen, indem wir zu vielen der 17 Ziele forschen, zum Klima, zu natürlichen Ressourcen wie Wasser und Luft, aber auch zu Mobilität und urbaner Entwicklung.
Sie führen nur fort, was Sie ohnehin schon begonnen hatten?
Was wir tun, werden wir fortsetzen. Die SDGs stärken in ihrer Kompaktheit als gemeinsamer Zielekanon aber die Perspektive auf das, was zwischen Partikularthemen liegt. Das heißt: Wir müssen den Brückenschlag der Wissenschaft über die einzelnen Disziplinen hinaus fördern.
Vor allem werden Zielkonflikte deutlich. Das Potsdamer Nachhaltigkeitsinstitut, IASS, warnt zum Beispiel, dass verschiedene Ziele enorme Ansprüche an die Fläche bedeuten und damit das Ziel, den Boden zu schützen, gefährden. Was tun?
Es wäre vermessen zu sagen, Wissenschaft kann diese Zielkonflikte lösen. Sie kann diese offenlegen, um dann Handlungsoptionen aufzuzeigen. Am Ende muss es aber einen gesellschaftlichen Konsens geben, was getan werden soll. Er ist nur im politischen Prozess zu erreichen. Man überfordert Wissenschaft, wenn man das Politische in die Wissenschaft hineinverlagert.
Geht es nicht ohnehin eher um ein Handlungs- als um ein Wissensdefizit – dass die biologische Vielfalt beständig sinkt, weil der Mensch den Wald rodet, die Meere plündert und den Boden intensiv beackert, ist zum Beispiel längst klar?
Umweltaspekte haben in den letzten Jahrzehnten an politischer Durchsetzungskraft zumindest in Deutschland, aber auch in vielen anderen Ländern gewonnen. Die Frage ist, ob dies angesichts des sich dramatisch vollziehenden Klimawandels genug ist. Wir müssen sicherlich unsere Anstrengungen intensivieren. Auf der Habenseite steht aber die historische Einigung auf das Klimaabkommen im Dezember 2015 in Paris und seine Ratifizierung durch große Treibhausgasemittenten wie die USA und China. Mehr ist natürlich immer möglich, aber dieses Mehr muss auch gesellschaftlich verhandelbar sein.
Der Kohleausstieg scheitert nicht am Wissen, sondern an der Unfähigkeit von Politik ihn durchzusetzen. Braucht Transformation eher politik- und sozialwissenschaftliche Forschung als naturwissenschaftlich-technische?
Es wäre ein naives Verständnis von Sozialwissenschaften, diese quasi als eine Ingenieurwissenschaft für die Gesellschaft zu betrachten , die nur sagt, wo man an ein paar Schrauben drehen muss, damit alles besser wird.
Es geht nicht darum, dass die Sozialwissenschaften ein paar Stupser geben. Die Frage ist, welchen Beitrag sie zum Transformationsprozess leisten können.
Wir müssen unterscheiden zwischen der politischen Debatte, was gewünscht und machbar ist, auf der einen Seite und einer Sozialwissenschaft auf der anderen. Deren Aufgabe ist es zunächst einmal, soziale Zusammenhänge, Strukturen und Prozesse zu verstehen und zu beleuchten.
So weit sind wir noch nicht?
Nein, ich glaube nicht. Die Sozialwissenschaft ist die komplexeste Wissenschaft, die wir haben. Die Zusammenhänge, die sie untersucht, sind vielfältig und schwierig. Berücksichtigen wir diese Disziplin hinreichend? Ich denke ja. Wir fördern sie etwa im großen Rahmenprogramm Forschung für Nachhaltigkeit, kurz FONA. In fünf Jahren werden circa zwei Milliarden Euro investiert. Davon sind 2016 28 Million für sozialwissenschaftliche Nachhaltigkeitsforschung vorgesehen. Dies soll 2017 auf 38 Millionen erhöht werden.  
Das BMBF legt Forschungsprogramme auf, das Umwelt- und das Entwicklungsressort auch. Wäre es nicht besser, die Nachhaltigkeitsforschung zu bündeln, um mehr Schlagkraft zu entwickeln?
In dieser Phase der Weltentwicklungen haben wir immer häufiger Querschnittsthemen, die sich nicht nur aus einer Perspektive bearbeiten lassen. Das sind etwa die Digitalisierung, die Energieversorgung, die Nachhaltigkeit. Deshalb werden wir ressortübergreifend arbeiten. Und wir müssen den Bogen noch weiter schlagen, in dem wir die Schnittstellen zwischen Wissenschaft und Politik und Wissenschaft und Gesellschaft weiter ausgestalten.
Das heißt konkret?
Das Bundesforschungsministerium entwickelt derzeit eine nationale Plattform für die wissenschaftliche Begleitung der SDGs in Deutschland, und wir tun das in ganz enger Zusammenarbeit mit dem Bundesumweltministerium und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Diese Plattform wird Zielkonflikte benennen, den Erkenntnisbedarf definieren und dann in einem breiteren Prozess auch gesellschaftlicher Verständigung Forschungs- und Innovationsagenden entwickeln.
Dazu wird es einen Bürgerdialog geben?
Zu der Plattform werden wissenschaftliche Einrichtungen und Politik gehören, aber auch Nichtregierungsorganisationen und die Wirtschaft. Es wird einen Experten-Arbeitskreis mit wissenschaftlichem Schwerpunkt geben und öffentliche Dialogveranstaltungen. Alle Ressorts können die Ergebnisse der Plattformarbeit für ihre mittel- und langfristigen Förderinitiativen aufgreifen. Der Start ist nächstes Jahr, das Ende offen.
Das Interview führte: Hanna Gersmann