Welche Statistik braucht die Nachhaltige Entwicklung?

Wie lassen sich die weltweiten Fortschritte zum guten Leben für alle messen? In vielen Ländern fehlen die Daten für eine umfassende Analyse. Wissenschaftler schlagen vor, mit einem Gesamtindex zu arbeiten, der vorläufig auf bestehende Datensätze zurückgreift. Der RNE warnt: Die reichen Länder könnten dabei zu gut abschneiden.

17 Ziele, 169 Unterziele – die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung, die Sustainable Development Goals, SDGs, sind ambitioniert, teils aber auch vage formuliert. Wie lassen sich da Erfolge, Fortschritte hin zum guten Leben weltweit messen? Anders gesagt: Welche Statistik ist nötig und wie vereinfacht darf sie sein? Diese entscheidende Frage wird derzeit in einem groß angelegten Prozess debattiert.
Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) warnt vor einer zu starken Vereinfachung. Die Gefahr, die er sieht: Wer schnell einfache Messgrößen erstellen will und dazu nur auf bestehende Datensätze zurückgreift, lässt leicht Indikatoren außen vor, die den Handlungsbedarf der Länder des Nordens zeigen. Etwa: den ökologischen Fußabdruck, die soziale Ungleichheit oder das relative Armutsrisiko. So schreibt es der RNE in einer jetzt veröffentlichten Stellungnahme.

Die Stellungnahme bezieht sich auf einen Vorschlag des Sustainable Development Solutions Network SDSN, einem internationalen Netzwerk von führenden Wissensorganisationen. Es hat einen SDG-Index aus leicht zugänglichen Daten entworfen, mit dem der aktuelle Stand im Gros der Staaten weltweit bewertet werden soll – wenn auch nur vorläufig.

230 Indikatoren oder eine Ampel

Denn die Statistische Kommission der Vereinten Nationen UNSC arbeitet bereits an einer umfassenden Messmethodik. Die von ihr eingesetzte „Interagency Expert Group on SDG Indicators” hat eine Liste mit gut 230 Indikatoren erarbeitet. In vielen Ländern fehlen jedoch die notwendigen Daten und Zeitreihen. Die Statistik muss erst noch aufgebaut werden. Das braucht seine Zeit.
Der Index, den das internationale SDSN-Sekretariat vorgeschlagen hat, ist zu verstehen als erstes schnelles Handwerkszeug“, sagt Adolf Kloke-Lesch. Er ist Direktor des SDSN in Deutschland, in dem die zwölf deutschen Mitgliedsorganisationen des weltweiten SDSN zusammenwirken www.sdsngermany.de. Er meint zudem, der Index erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ermögliche aber eine Vergleichbarkeit der Ausgangslage und der ersten Erfolge von Ländern. Und er sei einfach zu kommunizieren.
Das SDSN denkt sogar an ein Ampelsystem. Rot stünde dann für Ziele, von deren Erreichung die einzelnen Staaten noch weit weg sind. Gelb hieße: weitere erhebliche Anstrengungen nötig. Und grün: bereits größere Erfolge. Wie hilfreich und aussagekräftig ein solcher Index ist, werde allerdings unterschiedlich bewertet, sagt Kloke-Lesch. Auch im SDSN sei ein wichtiges Thema, wie die besondere Verantwortung der reicheren Länder angemessen abgebildet werden könne.
Alexander Müller, der derzeit eine globale Studie des UN-Umweltprogramms über „The Economics of Ecosystems and Biodiversity for Agriculture and Food“ leitet, ist Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung. Das Problem, das er als einer der Hauptautoren der RNE-Stellungnahme ausmacht: „Der SDSN-Index erweckt den falschen Eindruck, dass die Industrieländer als Modell nachhaltiger Entwicklung anzusehen sind. Auch wenn es Bereiche gibt, wie etwa die erneuerbaren Energien in Deutschland, die in die richtige Richtung gehen, muss ein Index doch sehr deutlich den Handlungsbedarf auch bei uns aufdecken. Das ist nicht der Fall.“
Er meint, der Index „atmet zu sehr den Geist der nachholenden Entwicklung – werdet so wie wir – und deckt das Neue der SDGs, die Veränderung in Richtung Nachhaltigkeit in allen Ländern, noch nicht ab.“ Anders als die bisherigen Millenniumsziele nimmt die globale Agenda 2030 nicht nur die klassischen Entwicklungsländer, sondern auch die Industrieländer in die Pflicht, die nachhaltige Entwicklung voranzubringen.

Orientierung für die Finanzbranche

Grundsätzlich plädiert der RNE denn auch dafür, eine Vielzahl „verlässlicher“ und „verständlich“ dargestellter sogenannter desaggregierter Daten heranzuziehen, also aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter und so fort. Dies soll auch helfen, den Anspruch der Agenda verfolgen zu können, niemanden zurückzulassen. Einen Nutzen sieht der RNE in einem einfachen Index dann allerdings doch: Er könnte zum Beispiel der Finanzbranche die Dringlichkeit zum Umsteuern klar machen.
Die von China gegründete Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank, AIIB, beziehe sich zwar ausdrücklich auf die Agenda 2030. Und die Weltbank und die Asiatische Entwicklungsbank seien „Pioniere der Klimafinanzierung“. Auch der Internationale Währungsfonds IWF „beginne damit, Klimafragen in seine Arbeit zu integrieren“, schreibt der RNE in seiner Stellungnahme. Doch seien weitere Schritte „erforderlich“.  
Der RNE empfiehlt jedoch eindringlich, die Aussagekraft des SDG-Index zu stärken und beispielsweise einen weiteren Indikator zu entwickeln, der von Anfang an einbezogen werden sollte: „nachhaltiger Konsum“.
Das SDSN hat seinen Vorstoß in der breiten Öffentlichkeit per Online-Konsultation debattieren lassen. Voraussichtlich noch vor der nächsten Sitzung des High Level Political Forum der Vereinten Nationen im Juli 2016 wird es einen überarbeiteten Vorschlag veröffentlichen.