„Ohne regulatorische Eingriffe wird sich nichts verändern“

Edeltraud Günther, Professorin für BWL an der TU Dresden, ist Mitglied des Fachforums Nachhaltiges Wirtschaften. Im Interview erläutert sie, wie schwer der Weg zu einer nachhaltigen Finanzwirtschaft ist und warum dennoch kein Weg daran vorbeiführt.

Das Fachforum Nachhaltiges Wirtschaften hat Handlungsempfehlungen zu nachhaltiger Finanzwirtschaft entwickelt. Welche zentralen Leitlinien darin halten Sie für besonders wichtig?

Edeltraud Günther: Für mich ist die Integration der Nachhaltigkeit in finanzwirtschaftliche Entscheidungen der wesentliche Punkt – und zwar explizit die Integration in alle finanzwirtschaftlichen Entscheidungen. Dieser Schritt ist auch dringend nötig: Seitdem ich mich 1989 in meiner Dissertation erstmals intensiv mit diesem Themenbereich beschäftigt habe, hat sich nicht viel bewegt: Die Integration des Nachhaltigkeitsgedankens in die klassischen Abteilungen findet immer noch nicht statt, Umweltexperten und Controller reden weiter nicht miteinander, manchmal wissen die Finanzexperten nicht einmal, dass es eine Nachhaltigkeitsabteilung innerhalb des Konzerns gibt.

Die Handlungsempfehlungen sollen das ändern. Wie lautet die gemeinsame Botschaft – und an wen ist sie gerichtet?

Wir können unsere Wirtschaft nur verändern, wenn wir Nachhaltigkeit stets integriert betrachten: Der Nachhaltigkeitsgedanke kann und muss in jede einzelne Entscheidung integriert werden. Das gilt für den Verbraucher, der sich mit jeder Kaufentscheidung für mehr oder weniger Nachhaltigkeit entscheidet, genauso wie für jede Entscheidung, die innerhalb eines Unternehmens getroffen wird. Dafür fehlt immer noch das Bewusstsein.

Und das, obwohl es inzwischen in vielen Unternehmen Nachhaltigkeitsabteilungen gibt. Diese sind aber manchmal Teil des Problems: Im schlimmsten Fall verhindern sie, dass nachhaltige Ansätze in den gesamten Geschäftsbetrieb integriert werden, da in manchen Unternehmen die Haltung vorherrscht, man verfüge damit ja über Fachleute, die sich ausreichend um Nachhaltigkeit kümmern würden. Dadurch bleibt Nachhaltigkeit additiv, anstatt integriert zu werden.

Viele Studien beweisen, dass sich Nachhaltigkeit auch betriebswirtschaftlich rechnet, zumindest langfristig betrachtet.

Wir haben diesen Beweis in mehr als 400 Studien geführt – und dennoch will ich inzwischen von dieser Fragestellung wegkommen. Eine Ex-Post-Betrachtung bringt uns heute nicht mehr weiter, dieser rechtfertigende Ansatz reicht nicht aus, um etwas zu bewegen. Schließlich fragt auch niemand meine Kollegen aus dem Innovationsmanagement nach empirischen Beweisen dafür, dass sich Innovationen lohnen. Daher plädiere ich für die umgekehrte Herangehensweise – für eine in die Zukunft gerichtete Fragestellung: Wie müssen wir den Technologie-Standort Deutschland gestalten, damit er nachhaltiger wird? Welche Produkte müssen wir entwickeln, wie muss unsere Produktion, wie der Konsum aussehen?

Nur so entstehen neue Geschäftsmodelle, die sich ökonomisch rechnen. Nur wenn wir von Vornherein von der Prämisse ausgehen, dass wir nachhaltiger sein wollen, dass daran gar kein Weg vorbeiführt, wird es uns gelingen, die Nische zu verlassen und gemeinsam nach den Chancen zu suchen, die durch Nachhaltigkeit entstehen.

Aber eine nachhaltige, international wettbewerbsfähige, umwelt- und sozialverträgliche Wirtschaftsweise – auf die auch das Leitbild „Green Economy“ abzielt – scheint vielen ein Widerspruch in sich zu sein.

Sicher sehen das viele heute noch so – das ist genau das Problem, das ich bereits beschrieben habe. Wir werden diese Einstellung mit noch so vielen guten Argumenten nicht ändern. Wir werden diese Haltung nur dadurch verändern, dass wir Geschäftsmodelle auf den Weg bringen, bei denen sich diese scheinbar konfligierenden Ziele gegenseitig ergänzen, die innovativ sind und von denen der Technologie-Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb profitiert.

Sind die Handlungsempfehlungen aus Ihrer Sicht umfassend?

Definitiv nicht, das können sie gar nicht sein. Wir mussten auswählen und haben uns zum Beispiel auf bestimmte Branchen konzentriert. Die Handlungsempfehlungen enthalten zwar die wichtigsten Stichworte – nehmen Sie die Themen Anreizsysteme oder Bildung –, aber wir konnten dabei nicht in die Tiefe gehen, sondern nur einen Rahmen für weiterführende Überlegungen schaffen.

Was kann die Finanzwirtschaft ganz konkret zu einer nachhaltigen Entwicklung und insbesondere zur Erreichung der nationalen und internationalen Klimaziele sowie der Umsetzung der SDGs beitragen – wenn man bedenkt, dass das nur ein Teil der Anforderungen ist, denen sich die Branche derzeit stellen muss.

Die Herausforderungen an die Finanzwirtschaft sind gerade deswegen derzeit so hoch, weil diese Industrie eben bisher nicht langfristig gearbeitet hat. Lars Sørensen, der CEO von Novo Nordisk, der vergangenes Jahr als „Best-performing CEO in the World“ durch das Harvard Business Review ausgezeichnet wurde, hat das auf den Punkt gebracht: „Corporate Social Responsibility bedeutet nichts anderes als den Wert Ihres Unternehmens über einen langen Zeitraum hin zu maximieren.“ Und: „Auf lange Sicht werden gesellschaftliche und ökologische Aspekte zu finanziellen Fragen.“ Sørensen ist übrigens nur deshalb ausgezeichnet worden, weil die Harvard Business Review bei der Preisvergabe vergangenes Jahr zum ersten Mal Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt hat, sonst hätte Jeff Bezos von Amazon gewonnen – aber das nur am Rande.

Was bedeutet dieser Gedanke, auf die Finanzwirtschaft übertragen?

Würden die Verantwortlichen in ihre Entscheidungen miteinbeziehen, welchen Effekt ihre Handlungen in zwei, drei oder gar in 20, 30 Jahren haben, dann würden sie ganz automatisch auch andere Risikoabwägungen berücksichtigen. Auf diese Weise bedeuteten Nachhaltigkeitsaspekte keine additive Anforderung, sondern sie würden ganz natürlich in den Entscheidungsprozess integriert.

Die Umsetzung ist dennoch anspruchsvoll: Dazu müssen ganz andere Anreizsysteme geschaffen werden, und zwar nicht nur auf Seiten der Finanzinstitute, sondern auch bei deren Kunden, und nicht nur in den Unternehmensspitzen, sondern bis hinunter auf die Werksebene, über alle Unternehmensbereiche hinweg – angefangen bei der Personalpolitik.

Nehmen wir ein konkretes Beispiel: den Markt für nachhaltige Geldanlagen. Das FFNW lehnt hier die Beschränkung auf einen Nischenmarkt ab. Wie aber bringt man die „Masse“ der Banken und ihrer Kunden dazu, auf nachhaltige Finanzprodukte zu setzen, und zwar nicht nur zusätzlich, sondern durchgehend?

Das geht nicht ohne regulatorische Eingriffe, sonst wird sich nichts verändern. Ich sage das, obwohl ich davon überzeugt bin, dass sich Nachhaltigkeit rechnet. Aber so lange das Bewusstsein dafür nicht existiert, kann und muss der Gesetzgeber den Prozess beschleunigen.

Ich verweise in solchen Diskussionen immer auf die Porter-Hypothese, die widerlegt, dass höhere Umweltauflagen ein Wettbewerbsnachteil sind – im Gegenteil: Dem US-Ökonom Michael E. Porter zufolge lösen richtig gestaltete umweltpolitische Maßnahmen eines Landes Produkt- und Prozessinnovationen aus und können die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit betroffener Firmen verbessern. Denn die Unternehmen sind gut aufgestellt, sie haben intelligente Mitarbeiter, die wissen, wie man aus einer aktuellen Lage das Beste macht.

Natürlich muss der Staat mit Augenmaß eingreifen: Über die Besteuerung von Spekulationsgewinnen diskutieren wir ja bereits regelmäßig, und zwar auch unabhängig vom Nachhaltigkeitsgedanken, ebenso ist die verantwortliche Beratung von Kunden auch heute schon als Thema erkannt. Aber wir sollten darüber hinaus über positive Anreize nachdenken, zum Beispiel könnten bestimmte Nachhaltigkeitskriterien bei der Kreditvergabe positiv berücksichtigt werden, ähnlich wie das im Vergaberecht bereits der Fall ist.

Sie sind also überzeugt, dass die Finanzinstitute Wettbewerbsvorteile gewinnen können, indem Sie frühzeitig absehbare Nachhaltigkeits-Risiken und -Chancen vorwegnehmen?

Definitiv, ob das Umwelt- oder Kreditrisiken oder Risiken innerhalb der Lieferkette sind. Davon sind wir in der Praxis allerdings weit entfernt. Gehen Sie mal in die Unternehmen und fragen, welche Relevanz Nachhaltigkeit bei der letzten Kreditvergabe hatte. Vor drei Jahrzehnten sagten 0,4 Prozent der Unternehmen, dass dies ein Thema ist, das hat sich kaum verändert.

Und das, obwohl die Kunden immer mehr Wert auf Nachhaltigkeit legen und gerade die junge Generation eine ganz andere Haltung dazu hat. Aber auch wenn die Institute als Ganzes sich vielleicht durch Argumente motivieren lassen würden, wird sich daran nichts ändern, solange Manager nur ein paar Jahre im Job bleiben und sie ihre Boni kurzfristig bekommen.

Hier wäre es interessant, über das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung nachzudenken: Nach der Finanzkrise 2009 wurde die Möglichkeit der Erstausübung von Aktienoptionen für Vorstände von zwei auf vier Jahre nach Erhalt verschoben. Ich sage nicht, dass man aus den zwei gleich 20 Jahre machen müsste, aber wie wäre es denn, wenn man den Anreiz für längerfristiges Denken stärkt und den Zeitraum von Bemessungsgrundlagen für variable Bestandteile von Managergehältern auf fünf Jahre hochsetzte?

Jetzt wird es darum gehen, die Ergebnisse des FFNW in die Praxis zu übertragen. Worauf kommt es dabei an, und was kann das FFNW für diesen Transfer tun?

Neben der anstehenden Tagung und der klassischen Öffentlichkeitsarbeit kann jeder von uns direkt vor Ort diese Handlungsempfehlungen umsetzen. Wir haben an der TU Dresden eben erst mit PRISMA ein Zentrum für Nachhaltigkeitsbewertung und -politik gegründet. Auch berücksichtige ich die Handlungsempfehlungen in meinem Arbeitsbereich und begleite die Entwicklung mit Forschungsprojekten.

Jeder kann für sich so etwas bewegen: Ein Manager aus der Industrie kann die Handlungsempfehlungen in seinen Investitionsentscheidungen berücksichtigen, und die Politik kann beispielsweise über Förderprogramme nachdenken oder Subventionen daran orientieren. Es ist ganz wichtig, dass die Arbeit des Fachforums jetzt in möglichst vielen anderen Bereichen zum Tragen kommt – sonst haben wir dasselbe Problem wie manche Nachhaltigkeitsabteilung im Unternehmen: Wir haben zwar unsere Hausaufgaben gemacht, aber unsere Arbeit bliebe dann eine Art Feigenblatt und hat keine Auswirkung.

Wie beurteilen Sie die Handlungsempfehlungen im Kontext der Ziele der G20 – insbesondere der G20 Green Finance Study Group? Sind die Handlungsempfehlungen international anschlussfähig?

Wir haben diese durchaus berücksichtigt, das war eine wichtige Herausforderung und unbedingt notwendig. Denn natürlich ist es in einer globalisierten Welt schwierig, national etwas zu verändern, wenn sich international Ausweichmöglichkeiten bieten – das sieht man nicht nur in der Klimapolitik. Umgekehrt würde ich aber auch sagen: Wenn sich unsere Handlungsempfehlungen umfassend durchsetzen, dann leisten wir einen großen Beitrag dazu, dass die gemeinsamen internationalen Ziele erreicht werden.

Die Fragen stellte Carolyn Braun.