Sie haben ein Dokument zu Ihrer Bestell-Liste hinzugefügt.

„Jugend ist der Motor für UN-Nachhaltigkeitsziele“

Der Kampf gegen Armut, mehr Umweltschutz und ein nachhaltigeres Leben kommt nicht bei allen an. Dominik Naab, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Bundesjugendrings, setzt deshalb bei der Umsetzung der SDGs auf junge Menschen. Der RNE ruft mit einem Bildungswettbewerb auf, kreative Ideen und Konzepte einzureichen.

Die Staatengemeinschaft hat sich zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele, der Sustainable Develompent Goals (SDGs), verpflichtet. Doch kaum einer weiß eigentlich, was dahintersteckt. Warum?

Dominik Naab: Ein stückweit liegt dies an der Genese der SDGs. Ihren Ursprung haben sie in den Millenniumsentwicklungszielen. Zudem lag der Fokus bisher viel stärker auf Umwelt- und Klimaschutz. Spannend bei den UN-Nachhaltigkeitszielen ist jedoch, dass sie unser ganzes Leben betreffen. Es geht um ein gerechtes Miteinander, darum, wie wir es schaffen, unser Leben nachhaltig zu gestalten.

Doch offenbar haben es die Institutionen bisher nicht geschafft, genug Öffentlichkeit für die UN-Nachhaltigkeitsziele zu schaffen. Wen sehen Sie in der Pflicht?

Die Bundesregierung. Sie muss all ihr Handeln unter die 17 Nachhaltigkeitsziele stellen und mit gutem Beispiel vorangehen. Die nächste Regierung muss endlich den Mut beweisen, eine echte Vision zu verfolgen. Nachhaltiges Handeln ist nicht mit leichten Veränderungen möglich, sondern braucht deutliche Veränderungen. Das betrifft alle Lebensbereiche: Umwelt, Arbeit, Mobilität, Familie und Wirtschaft. Dort brauchen wir konkrete Maßnahmen. Viele Verbände gehen hier bereits mit gutem Beispiel voran. Es liegt letztlich an jedem Einzelnen, einen Beitrag dafür zu liefern. In der Pflicht sehe ich aber die Bundesregierung.

Gefragt sind vor allem auch die deutschen Bildungsinstitutionen wie etwa die Kultusministerkonferenz. Welche Bedeutung haben die SDGs in diesen Gremien?

Die UN-Nachhaltigkeitsziele nehmen bereits mehr Raum ein. Das ist erfreulich, aber reicht bei weitem noch nicht aus. Wenn wir die Ziele erreichen wollen, dann müssen wir unser Handeln ändern – und das ist unbequem. Die Umsetzung liegt an jedem Einzelnen, aber natürlich auch an den Institutionen. Wenn wir Städte bauen, an Mobilität denken, am Arbeitsplatz, beim Essen, beim Einkaufen, beim Wohnen, in unserer Freizeit – überall müssen wir Veränderungen anstoßen. Politik zeichnet sich leider nicht mit Mut aus. Langfristiges Denken steht häufig nicht auf der Agenda.

Eine wichtige Institution in Sachen Nachhaltigkeit ist die Nationale Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung. Welche Erwartungen haben Sie an das Gremium?

Ich selbst bin Teil dieser Einrichtung. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir die Nachhaltigkeitsziele als Querschnittsthema in sämtlichen Bildungsbereichen sehen. Es geht hier nicht um ein Nischenthema, sondern darum Nachhaltigkeitsaspekte systematisch und viel stärker in sämtliche Bildungsinstitutionen und entsprechende Lehrpläne zu verankern. Das beginnt bei der frühkindlichen Bildung, geht über die Schulen und Hochschulen, aber auch die berufliche Bildung. Dies voranzubringen ist eine wesentliche Aufgabe der Nationalen Plattform Bildung für nachhaltige Entwicklung. Problem ist, dass Bildung in Deutschland immer noch Ländersache ist. Die Zusammenarbeit zwischen Bundesregierung und Landesregierungen ist noch ausbaufähig. Wir brauchen insgesamt ein stärkeres Bewusstsein für diesen Austausch.

Vermittler von mehr Wissen über die Nachhaltigkeitsziele sind auch die Schulen und Hochschulen. Wer kennt sich besser aus? Die Lehrenden oder die Lernenden?

Das Interesse ist groß, vor allem bei den Lernenden. Doch es zeigt sich, dass wir die UN-Nachhaltigkeitsziele nicht als separates Thema verstehen dürfen, sondern sie ziehen sich durch alle Bildungsbereiche hindurch. Es reicht nicht aus, sie beispielsweise bei Schulprojekten zu behandeln oder als ein gesondertes Projektthema. Nachhaltigkeit muss Teil aller Lebensbereiche werden. Dies geht nur, wenn bereits Kinder und Jugendliche dafür sensibilisiert werden.

Welche Rolle spielt der Einsatz junger Menschen?

Sie sind der Motor für die Umsetzung und die Fortschreibung der Nachhaltigkeitsziele. Wenn sie bereits in jungen Jahren erleben, dass nachhaltiges Handeln möglich ist, dann ist schon viel gewonnen. Das theoretische Wissen darüber, was eigentlich richtig wäre, ist bei vielen da. Es wird nur nicht umgesetzt. Wenn ich im Supermarkt bin und vor der Kühltheke stehe, dann greife ich vielleicht doch zu Produkten, die nicht so nachhaltig sind. Obwohl ich weiß, dass es nicht richtig ist. In Jugendgruppen kann ein anderer Ansatz geübt werden. Zum Beispiel, wenn man sich gemeinsam überlegt, welche Produkte sinnvoll sind. Bio, regional, ohne Gentechnik – darüber machen sich junge Leute in den Gruppen Gedanken.

Wie können junge Leute konkret dabei helfen, die SDGs umzusetzen?

Die Jugendverbände spielen eine Schlüsselrolle. Das Schöne ist an diesen Gruppen, dass sich die Teilnehmer freiwillig mit der Thematik auseinandersetzen. Selber machen ist immer besser, als Dinge erzählt zu bekommen.

Der Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE) ruft nun zu einem Bildungswettbewerb zu den SDGs auf. Sie sind Leiter der Jury des Wettbewerbs. Wer soll damit erreicht werden?

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene können mitmachen. Aber auch Erzieher oder Lehrer. Wir sind offen für Ideen von Schulklassen, von Jugendverbänden oder auch von Einzelpersonen. Mit dem Wettbewerb wollen wir eine Bühne für gute Vorschläge geben, die das Thema Nachhaltigkeit nach vorne bringen und wie Konzepte konkret umgesetzt werden können. Eingereicht werden können die Vorschläge in Schriftform, aber auch als Videobeitrag, in digitaler Form, gemalt oder gezeichnet. Wir sind für alles offen.

Was passiert mit den Konzepten und Ideen?

Der Wettbewerb läuft bis zum 24. November. Die Jury wählt die besten Vorschläge aus. Am 30. Januar 2018 wird es ein Treffen mit den Nominierten geben, die ihre Ideen Nachhaltigkeitsexperten aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft vorstellen können, die bereit sind, gute Ansätze mit Geld oder Rat und Tat zu unterstützen.

Wie kann der Deutsche Bundesjugendring dazu beitragen, dass die UN-Nachhaltigkeitsziele auch in der Öffentlichkeit stärker bekannt werden?

Ich selbst komme aus der Deutschen Pfadfinderschaft Sankt Georg. Die Organisation erreicht rund 95.000 junge Menschen und ist damit der größte Pfadfinderverband in Deutschland. In unseren Veranstaltungen geht es immer darum, dass Nachhaltigkeitsaspekte nicht nur berücksichtigt, sondern auch gelebt werden. Wir setzen uns für einen fairen, globalen Handel ein. Für Umwelt- und Klimaschutz, für faire Bedingungen in den Produktionsketten.

Wie beurteilen Sie die neue, vom RNE beauftragte Studie zur Umsetzung der SDGs im deutschen Bildungssystem? Welches Fazit ziehen Sie daraus?

Es ist gut zu wissen, wo wir stehen. Leider ist das Ergebnis nicht überraschend. Die SDGs sind im deutschen Bildungssystem nicht implementiert. Das ist so und wird durch die Studie erneut deutlich. Die Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung ist ein zartes Pflänzchen, was leider nicht gezielt und strategisch aufgezogen wird, sondern sich mehr oder minder selbst überlassen wird. Teilweise wird sogar bewusst dagegen gearbeitet. Glücklicherweise gibt es viele Initiativen wie auch „Zukunft, fertig, los!“, die das Thema vorantreiben. Der Rahmen, den die 17 Ziele bilden, ist der richtige Weg. Das legt auch diese Studie nahe und freut mich. Nun braucht es noch mehr Akteure, die diesen Weg mitgehen und dem Pflänzchen zum Durchbruch und nachhaltigem Wachstum verhelfen.

Woran liegt es, dass die SDGs noch in keinem der betrachteten Bildungsbereiche systematisch implementiert sind? Welche Maßnahmen müssen Ihrer Meinung nach ergriffen werden, um diesbezüglich voranzukommen?

Das liegt erstens an der komplexen Bildungslandschaft und zweitens dem föderalen System. Wenn zu viele Akteure mitsprechen wollen bzw. müssen, dann ist das extrem schwierig – eigentlich unmöglich. Damit liegt eine Maßnahme auf der Hand: Bildung muss Aufgabe des Bundes werden. Der zweite Knackpunkt ist, dass Entscheidungsträgerinnen und -träger nicht den Mut aufbringen, Nachhaltigkeit ernsthaft zu implementieren. Entweder sind sie selbst nicht überzeugt oder meinen, es nicht durchsetzen zu können. Es braucht Menschen, die Vorbild sind und den ersten Schritt machen. Veränderung ist meist unbequem und erzeugt Widerstände. Diese müssen durchbrochen werden. Ich wünsche mir hier mehr Radikalität und Mut im Wandel.

Wo holen Sie sich Anreize für Ihre Nachhaltigkeitsideen?

Die Pfadfinderbewegung ist weltweit vertreten. In diesem Sommer haben wir beschlossen, dass die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele nicht nur im deutschen Verband, sondern auch in den Aktivitäten des Weltverbandes, eine große Rolle spielen. In diesem Beschluss werden alle nationalen Verbände aufgerufen, Akteure für den nachhaltigen Wandel in ihrer Region und in ihrem Land zu sein. Wir sind Teil einer weltweiten Bewegung.

Das Interview führte Tanja Tricarico