EU-Expertengruppe arbeitet an nachhaltiger Finanzwirtschaft

Wie lassen sich die Finanzmärkte so regulieren, dass sie einer nachhaltigen Entwicklung dienen? Die EU-Kommission hat jetzt eine Gruppe von 20 Expertinnen und Experten beauftragt, dazu Vorschläge zu erarbeiten. Diese könnten Teil der geplanten Kapitalmarktreformen werden.

Sie nennt sich „High-Level Expert Group on Sustainable Finance“ und soll im Jahr 2017 dazu beitragen, eines der drängendsten Probleme der nachhaltigen Entwicklung zu lösen: Im Dezember 2016 hat die EU-Kommission eine Expertengruppe berufen, die konkrete Reformvorschläge erarbeiten soll, damit „privates Kapital sein volles Gewicht für nachhaltige Investments in die Waagschale werfen kann“, wie es Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission, zur ersten Sitzung des neuen Gremiums ausdrückte.

20 Mitglieder hat die Gruppe, davon, trotz Brexit, sieben Briten. Vorsitzender ist der Deutsche Christian Thimann, in der Unternehmensleitung des Versicherers Axa zuständig für Regulierung und Nachhaltigkeit. „Unsere Ideen schweben nicht im leeren Raum. Wir wollen konkrete Maßnahmen beschließen“, sagt Thimann im Interview mit dem Newsletter des Rates für Nachhaltige Entwicklung.

Sechs Mitglieder stammen aus der Zivilgesellschaft, beispielsweise dem WWF oder der 2 Grad Investment Initiative. Dazu kommen Banken, Versicherer, Fondsmanager und Wissenschaftler. „Ich persönlich glaube, dass wir viel Arbeit vor uns haben – aber dass die Gruppe eine klar und umfassende Vorstellung hat, sowohl über die Herausforderungen als auch über das, was wir erreichen können“, schreibt Ingrid Holmes, die für die britische Non-Profit-Organisation E2G in dem Gremium sitzt.

Was ist eine nachhaltige Geldanlage?

Martin Koch koordiniert die Expertengruppe bei der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion der EU-Kommission. „Wir haben viele einzelne Initiativen für nachhaltige Finanzen, aber noch keinen systemischen Ansatz“, sagt er. Es sei eine „große strukturelle Aufgabe“, der sich die Expertengruppe jetzt widme. Als ein Beispiel der vielen Themen der Gruppe nennt Koch die Frage, wann ein Unternehmen eine Anlage überhaupt als „grün“ oder „nachhaltig“ bezeichnen darf. Dafür gebe es bisher keine einheitliche Definition, was es erschwere, nachhaltige Finanzierung zu mobilisieren. Die Expertengruppe solle dafür Lösungsvorschläge erarbeiten, so Koch.

Koch ist auch Gast auf der Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung am 29. Mai, wo er mit Mitgliedern des Nachhaltigkeitsrates und anderen Gästen darüber sprechen wird, wie weltweit und in Deutschland eine nachhaltige Finanzwirtschaft aussehen müsste.

Die Expertengruppe müsse das Rad nicht neu erfinden, sagt Koch. Man könne auf vorhandene Ideen aufbauen. Dazu zählt vor allem die Vorarbeit der Task Force on Climate-related Financial Disclosures, unter anderem geleitet von Michael Bloomberg, ehemaliger New Yorker Bürgermeisters und Medienmilliardär. Die Task Force ist Teil des von den G20-Staaten ins Leben gerufenen Finanzstabilitätsrats (Financial Stability Board, kurz: FSB) mit Sitz in Genf.

Sie soll gewährleisten, dass die internationalen Finanzmärkte stabil bleiben – der Klimawandel gilt dort als Risiko. Das Problemszenario: Der Kampf gegen den Klimawandel macht milliardenschwere Anlagen wertlos, vor allem in fossile Energien. Bisher aber haben Investoren, Versicherer und Regulierer kaum Instrumente, um diese Risiken zu messen und zu bilanzieren – künftig sollten sie, so die Empfehlung, Teil des normalen Unternehmens-Reportings werden.

Auf solche Ideen wollen die Experten der EU aufbauen. In ihrer ersten Sitzung haben sie bereits einige wichtige Punkte ihrer Arbeit definiert:

  • Strukturen: Nachhaltige Unternehmen sollen leichter Zugang zu Kapital haben als nicht nachhaltige.

  • Fokus: Es muss einen ganzheitlichen Ansatz geben, weil sowohl Nachhaltigkeit als auch Klimawandel langfristige Aufgaben sind.

  • Regulation: Es muss eine richtige Balance zwischen der Regulierung von Finanzmärkten und freien Marktkräften geben.

  • International: Gerade nach den US-Wahlen müsse sich die EU Ländern zuwenden, die den Ideen der Nachhaltigkeit aufgeschlossener sind, etwa Indien oder China.

  • Stabilität: Eine Transformation zu mehr Nachhaltigkeit kann die Finanzmarktstabilität beeinflussen, keine Transformation berge ebenfalls Risiken, vor allem wegen der zu hohen Bewertung von Anlagen in die fossile Wirtschaft.

  • Wirkung: Der Wandel muss schnell erfolgen, die Gruppe will deshalb Maßnahmen mit der größten Wirkung priorisieren.

Mitte des Jahres will die Expertengruppe einen Zwischenbericht vorlegen, der dann auf einer Stakeholderkonferenz am 18. Juli in Brüssel diskutiert wird. Im Januar 2018 soll es eine zweite Konferenz über den Abschlussbericht geben. Die Konferenz im Juli ist prinzipiell für interessierte Teilnehmer offen. „Allerdings müssen wir unsere begrenzten Kapazitäten von circa 400 Personen berücksichtigen“, sagt Koch. Gegebenenfalls sei eine Begrenzung auf maximal zwei Teilnehmer per Institution notwendig. Es soll auch einen Livestream von der Konferenz geben.