„Es geht darum, dezentrale Strukturen zu stärken“

Ludwigsburg steht schon seit über einem Jahrzehnt für Bürgerbeteiligung und nachhaltige Stadtentwicklung. Oberbürgermeister Werner Spec, Mitglied im RNE-Dialog "Nachhaltige Stadt", war einer der deutschen Vertreter auf der UN-Konferenz HABITAT III in Quito/Ecuador.

Herr Spec, als Oberbürgermeister der Stadt Ludwigsburg waren Sie vergangene Woche Teil der deutschen Delegation auf der dritten Gipfelkonferenz des Wohn- und Siedlungsprogramms der Vereinten Nationen, auf der HABITAT III in Quito, Ecuador. Schwerpunkte waren Wohnungsbau und nachhaltige Stadtentwicklung. Ihr Fazit?

Werner Spec: In Quito ist wieder einmal klar geworden, dass die Verantwortlichen sich heute nicht mehr fragen, ob sie umsteuern sollen, sondern wie: mit welchen Strategien und welcher Methodik, mit welchen Modellen bürgerschaftlicher Partizipation. Angesichts der Fülle riesiger Probleme, auf die wir zusteuern, ist das unverzichtbar. Die Kommunen können und müssen hier viel leisten – und das, obwohl ihre Mittel begrenzt sind und das Zuständigkeitsgerangel zwischen den nationalen und kommunalen Stellen oft eine Herausforderung ist. Der Erfahrungsaustausch auf der HABITAT III belegt erneut, dass es darum geht, die dezentralen Strukturen zu stärken. Wir müssen für unsere Eigenverantwortlichkeit kämpfen, weil wir nur so vor Ort etwas bewegen können. Auch der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon hat in Quito ja an die Kommunen appelliert, ihre Verantwortung zu erkennen und ihr Engagement zu verstärken. Wie wichtig das ist, konnten wir vor Ort sehen: Der öffentliche Nahverkehr in der Millionenstadt Quito wird von dieselbetriebenen Bussen geleistet. Die Auswirkungen auf die Sauberkeit der Luft, auf die Gesundheit und die Lebensqualität sind überall zu beobachten. Nur ein Beispiel dafür, wie lang der Weg ist, den wir noch gehen müssen.
Gewinner beim Deutschen Lokalen Nachhaltigkeitspreis „Zeitzeichen", Erster Platz beim Wettbewerb Deutscher Nachhaltigkeitspreis 2014, in der zweiten Runde des „Zukunftsstadt"-Wettbewerbs des Bundesforschungsministeriums: Ludwigsburg ist in den vergangenen Jahren mit Auszeichnungen dafür überhäuft worden, dass die Stadt auf nachhaltige Stadtentwicklung und intensive Bürgerbeteiligung setzte. Sie sind seit 2003 Oberbürgermeister. Was haben Sie anders gemacht als andere?
Mir war damals ein grundlegender Politikansatz wichtig, eine ganzheitliche Strategie über alle Aufgabenbereiche hinweg, und dies auf der Grundlage einer umfassenden Bürgerbeteiligung. Die Ergebnisse gingen am Ende weit über unsere hohen Erwartungen hinaus. Ausgangspunkt war eine Stärken-/Schwächen-Analyse und die Einschätzung künftiger Chancen und Risiken für die Stadt. Vor der Phase der Bürgerbeteiligung stand eine umfassende Vorarbeit der Verwaltung unter Hinzuziehung externer Fachleute für die unterschiedlichen Aufgabengebiete. Mir war es wichtig, der Bürgerschaft qualifizierte Grundlagen für Ideen und Vorschläge zu liefern, sie aber auch in die Stärken- und Schwächenanalyse einzubeziehen. In der Folge entstand in Ludwigsburg eine regelrechte Aufbruchsstimmung. Denn die repräsentative Ausrichtung der Bürgerbeteiligung und die qualifizierten Ergebnisse sorgten für eine hohe Akzeptanz im Gemeinderat, der anfänglich der breiten Bürgerbeteiligung eher skeptisch gegenüberstand. Die frühe und ergebnisoffene Bürgerbeteiligung und die tatsächliche Einbeziehung vieler Ideen und Maßnahmen in die Beschlüsse des Gemeinderats sorgten für eine hohe Motivation der Beteiligten, es erwuchs eine hohe Identifikation mit der Stadt, durchaus auch Bürgerstolz. Und die proaktive strategische Politikgestaltung führte zu einer eigenen Entwicklungsdynamik.

Was hat Sie dazu inspiriert?
Zwei Anstöße waren für mich entscheidend: Als Oberbürgermeister in Calw im Nord-Schwarzwald hatte ich zuvor bei der Bewältigung einer fast schon krisenhaften Situation gemeinsam mit einem erfahrenen Stadtplaner umfassende Strategien erarbeitet. Auf die dabei gewonnenen Erfahrungen wollte ich aufbauen. Zum anderen waren mir damals, in der Folge der Konferenz von Rio 1992, die Anfänge der Bürgerbeteiligung begegnet. Die Bereitschaft zum Engagement von Bürgerinnen und Bürgern hat mich beeindruckt. Gleichzeitig wurde mir klar, dass diese Bürger nur dann erfolgreich arbeiten können, wenn sie von der Stadt fachlich unterstützt werden. Die anfänglichen Eigeninitiativen bürgerschaftlicher Gruppen waren geprägt von einer Abgrenzung gegenüber dem "Establishment" von Verwaltung und Politik und  der damals noch eher fundamentalistischen Ausrichtung der grünen Bewegung. Es fehlte außerdem teilweise die notwendige fachliche Fundierung von Ideen. Vor allem die fehlende repräsentative Zusammensetzung der selbstgebildeten Arbeitskreise unterminierte die erforderliche politische Akzeptanz der Vorschläge in den Gremien des Gemeinderats. In Ludwigsburg legte ich daher von Anfang an viel Wert auf eine repräsentative Zusammensetzung bürgerschaftlicher Gruppen, aber auch auf die fachliche Unterstützung. Das war im Nachhinein ein wesentlicher Erfolgsfaktor.
Dazu haben Sie sich die Zukunftskonferenz ausgedacht …
Richtig. Denn um an der Zukunftskonferenz – die wir inzwischen im Drei-Jahres-Rhythmus veranstalten – teilzunehmen, musste man sich bewerben. Das hat es uns erlaubt, ein ausgewogenes Verhältnis von beispielsweise Frauen und Männer, Jung und Alt, angestammten Einwohnern und Migranten sowie von Menschen aus den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Umwelt, Kultur, Sport, Kirchen usw. herzustellen. Außerdem haben wir von Anfang an offen kommuniziert, dass gegenüber dem Gemeinderat kein Anspruch darauf besteht, alle Vorschläge eins zu eins umzusetzen. Wir haben aber versprochen, alles dafür zu tun, dass sich der Gemeinderat ernsthaft mit den Ergebnissen der Bürgerbeteiligung auseinandersetzt und zumindest einen Teil der Vorschläge in den Beratungen und Beschlüssen berücksichtigt. Und dieses Versprechen haben wir gehalten.
War es damals schwer, die Bürger zu interessieren und zu begeistern?
Das war nicht besonders schwer. Wir haben einen öffentlichen Aufruf gestartet, dem viele gefolgt sind. Von Anfang an haben wir aber auch auf milieuspezifische Kommunikationswege gesetzt. Wenn man zum Beispiel Migranten gewinnen will, ist es hilfreicher, Multiplikatoren persönlich anzusprechen, weil diese Gruppierungen meist auf übliche Einladungen nicht reagierten. Im Ergebnis hat das sehr gut funktioniert.

Das ressortübergreifende, integrierte Gesamtkonzept "Chancen für Ludwigsburg" geht über das Instrument der Zukunftskonferenzen weit aus. Zum Beispiel haben Sie 2008 das Querschnitts-Referat Nachhaltige Stadtentwicklung geschaffen, das Ihnen direkt zugeordnet ist, es gibt die Bürgerbeteiligungsplattform meinLB und mit KSIS ein Tool für transparentes Verwaltungshandeln. Haben Sie dabei immer auch im Blick gehabt, die Zugangshürden für die breite Bevölkerung möglichst niedrig zu gestalten?
Alle diese Instrumente zielen darauf ab, nicht nur anlassbezogen zu handeln, sondern einen kontinuierlichen Prozess zu schaffen. Und das in allen wesentlichen Fragen: Mobilität, Energie, Wirtschaft und Arbeit, Bildung, Integration, Kultur, Sport und Gesundheit, vitaler Einzelhandel… Um dabei den Überblick zu bewahren, haben wir Masterpläne eingeführt. Diese dienen nicht nur der Steuerung und Koordination aller Ziele und Maßnahmen innerhalb der Verwaltung, sondern legen diese für Politik, Bürgerschaft und Medien offen. Dieses hohe Maß an Transparenz setzt Mut voraus, ist aber für das Gelingen von Bürgerbeteiligung unverzichtbar.
Was gehört dazu, so etwas umzusetzen?
Neben der Schaffung einer übergreifender Prozessorganisation und der notwendigen IT-basierten Managementinstrumente ist eine andere Kultur in der Verwaltung erforderlich. Unsere Systeme in Administrationen, oft auch in Unternehmen, sind von einer starken Spezialisierung und den damit verbundenen Abgrenzungen geprägt. Unsicherheiten oder Konkurrenzdenken führen nicht selten zu Abschottungen gegenüber anderen Einheiten. Diese Strukturen stehen ganzheitlichen Ansätzen entgegen, die ein Höchstmaß an Transparenz und offener Zusammenarbeit erfordern. Deshalb haben wir seit vielen Jahren eine gezielte Führungskräfteentwicklung aufgebaut, die die zwischenmenschlichen Ebenen stärkt, Konkurrenzdenken abbaut und das gemeinsame Ganze in den Fokus rückt. Es gibt genügend Herausforderungen für alle, niemand muss Angst haben, zu kurz zu kommen.

Welchen Beitrag können Städte wie Ludwigsburg zur Umsetzung der globalen Nachhaltigkeitsziele leisten?
Die Herausforderung lautet bekanntermaßen: global denken, lokal handeln. Wir sind der lokale Mikrokosmos, der ein Teil des Ganzen ist. Um die globalen Nachhaltigkeitsziele umzusetzen, checken wir systematisch ab: Wo liegen wir mit unseren lokalen Nachhaltigkeitszielen schon auf einer Linie mit den globalen, wo müssen wir noch ergänzen oder nachsteuern? Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei den Nachhaltigkeitszielen ganz entscheidend darauf ankommt, die Gesellschaft in ihrer Breite zu sensibilisieren, auch an die Verantwortung jedes einzelnen zu appellieren. Die Städte und Gemeinden sind die für die Bürgerinnen und Bürger unmittelbarste öffentliche Ebene. Im Rahmen bürgerschaftlicher Partizipation bietet sich die Chance, nicht nur lokale Themen zu diskutieren, sondern auch darüber, wie durch lokales Handeln globale Ziele erreicht werden können, zum Bespiel durch Konsum von Waren, die unter fairen und umweltgerechten Bedingungen produziert werden. In diesem Zusammenhang arbeiten wir nicht nur mit Fairtrade-Gruppen eng zusammen, auch mit einem Filmfestival, das jährlich eine Vielzahl von Dokumentarfilmen zeigt, die sich mit Natur, Umwelt, Nachhaltigkeit, aber auch Raubbau und Ausbeutung weltweit beschäftigen. Neben dem Bürger mit seinem Konsumverhalten und Umgang mit Umwelt, Energie und Mobilität kommt aber auch der Wirtschaft eine wichtige Rolle zu. Wirtschaft funktioniert auf Dauer nur erfolgreich, wenn sie ihrer sozialen und ökologischen Verantwortung gerecht wird. Wir unterstützen das jährlich stattfindende CSR-Forum der Deutschen Wirtschaft in Ludwigsburg, welches die soziale und ökologische Verantwortung in den Mittelpunkt stellt, auf gute Beispiele ebenso abhebt wie auf den noch bestehenden Handlungsbedarf – lokal ebenso wie in den globalen Lieferketten und Produktionsbedingungen.
Einen weiteren Aspekt beschreibt das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung mit dem Titel: „Die transformative Kraft der Städte“. Dort werden die weltweiten Entwicklungsszenarien der nächsten Jahre dargestellt mit einem weiteren Wachstum der Weltbevölkerung um zwei bis drei Milliarden Menschen, die zunehmende Urbanisierung, die damit verbundene Zunahme ungeordneter Siedlungsstrukturen, die zusätzlichen Herausforderungen für den Klimaschutz, die dadurch erwachsen. Der Erfolg der notwendigen Veränderungen wird ganz entscheidend von erfolgreichen Entwicklungen in den Städten abhängen. Ansonsten drohen weitere massive Flüchtlingsströme, nicht nur aus Bürgerkriegsgebieten, sondern auch bedingt durch Klimaveränderungen. Deshalb muss der internationale Erfahrungsaustausch massiv ausgebaut werden, denn nichts ist überzeugender als gute Beispiele. Das gilt sowohl für technologische Infrastrukturentwicklungen als auch für die Methodenkompetenz in der bürgerschaftlichen Partizipation.
Ludwigsburg betreibt seit 2009 das momentan größte Holzheizkraftwerk im Bundesland und ist seit 2011 Modellkommune für Elektromobilität : Ist nachhaltige beziehungsweise regenerative Energieerzeugung für eine moderne Stadtentwicklung Bedingung?
Selbstverständlich. Lange vor Fukushima war klar, dass wir Energieeinsparungen und einen schrittweisen Umstieg auf regenerative Energien brauchen. Deshalb war es Teil unserer nachhaltigen Stadtentwicklung, ein umfassendes Energiekonzept zu erstellen mit einer Analyse des bestehenden Energieverbrauchs und der lokalen Erzeugungsmöglichkeiten regenerativer Energien sowie vielen Handlungsempfehlungen, die wir offensiv umzusetzen begannen: Eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, die Installation eines Wissenszentrums "Energie", die Unterstützung einer interessensunabhängigen Energieberatung, der Aufbau eines Kompetenznetzwerks mit Partnern aus Handwerk, Industrie, Architekten, Ingenieuren und wissenschaftlichen Partnern, eine Infrarotbefliegung der Stadt im Winter zur Bestandsaufnahme des Naturraumes, um Stadtquartiere mit besonders starkem Handlungsbedarf zu identifizieren. In diesem Zusammenhang wurde auch klar, dass wir das Ziel nur erreichen, den CO2-Ausstoß je Einwohner bis zum Jahr 2050 auf unter 2 to/a zu begrenzen, wenn nicht nur massive Einsparungen von Energie in privaten Haushalten und in der Wirtschaft umgesetzt werden, sondern wenn zusätzlich der Verkehr als erheblicher CO2-Emittent weitgehend auf Elektromobilität auf der Basis erneuerbarer Energien umgestellt wird.
Das hat uns motiviert, das Thema E-Mobilität offensiv anzugehen. Natürlich macht dies auch großen Sinn mit Blick auf Feinstaub-, Stickoxid- und Lärmbelastungen, die derzeit die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigen und Gesundheitsgefahren in sich bergen.
Ludwigsburg könnte in näherer Zukunft die 100.000-Einwohner-Grenze überschreiten. Was bedeutet das für die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung in Bezug auf den Flächenverbrauch, den Wohnungsmarkt, den sozialen Wohnungsbau etc.?
Wir haben uns keine quantitativen Ziele gesetzt, uns aber intensiv mit dem demographischen Wandel beschäftigt. Angesichts einer immer älter werdenden Bevölkerung haben wir früh angefangen, in die Offensive zu gehen und Ludwigsburg für junge Familien mit Kindern zu öffnen und attraktiv zu machen. Nur so können wir eine vitale Stadt bleiben mit Blick auf ausreichende Fachkräfte für die Wirtschaft, intakte Vereine und Kirchengemeinden und einen vitalen Einzelhandel, der zunehmend unter wachsenden Zuwächsen im Online-Handel leidet. Im Sinne integrierter Stadtentwicklung war es uns dabei auch wichtig, den Zuzug zu nutzen, um sozial schwächere Stadtteile besser zu durchmischen. Empirische Studien haben gezeigt, dass Bildungs- und Integrationschancen einerseits durch bessere pädagogische Angebote geprägt werden, andererseits aber eine einigermaßen ausgewogene Sozialstruktur in den Stadtteilen erfordern.
Sie haben mal gesagt: "Das Konzept der Smart City ist kein Selbstzweck." Der Trend zur Digitalisierung bietet aber gerade Städten wie Ludwigsburg viele Chancen. Wo sehen Sie die größten – im Zusammenhang mit nachhaltiger Entwicklung?
Nur ein Beispiel: Wenn man den Parksuchverkehr über digitale Mobilitätapps steuert, lässt sich damit bis zu ein Drittel des innerstädtischen Verkehrs vermeiden. Es ist klar, dass das attraktiv ist. Mit einer offenen und möglichst datensicheren SmartCity Cloud ermöglichen wir eine hohe Nutzung unterschiedlichster digitaler Vernetzungen. Dazu gehört die optimale Steuerung von zunehmend dezentraler und regenerativer Energieerzeugung, Speicherung und Verbrauch, die Optimierung des Logistikverkehrs, intermodale Mobilitätsapps, smart home & living-Anwendungen auf der Basis regionalen Handels, die Stärkung der sozialen Quartiersarbeit und vieles mehr. Hier sind wir als Städte gefordert, den Prozess der Digitalisierung mit zu steuern und zu beeinflussen, weil wir nur so gewährleisten können, dass nicht allein die kommerziellen Interessen im Vordergrund stehen. Die Offenheit dieser lokalen Datensysteme und vor allem auch deren Datensicherheit sollte neben dem behördlichen Datenschutz auch durch Leitlinien der demokratisch gewählten Gremien vor Ort beeinflusst werden können.

Im Zusammenhang mit Flüchtlingen haben Sie gesagt: „Ökonomie, Ökologie und Soziales müssen in Einklang gebracht werden.“ Profitiert Ludwigsburg dabei auch von bereits geschaffenen Strukturen?
Ja, absolut. Wer sich mit dem demographischen Wandel beschäftigt hat, müsste längst begriffen haben, dass Flüchtlinge nicht in erster Linie eine Bedrohung sind, sondern eine Chance: Menschen, die aufgrund von Kriegen und Hungersnöten verzweifelt ihre Heimat verlassen, um sich woanders eine neue Existenz aufzubauen. Eine Entwicklung, die es schon seit Jahrhunderten gibt. Deshalb habe ich seit Jahren in der Stadtgesellschaft auf die Chancen von Zuwanderung hingewiesen. Angesichts der demographischen Entwicklung sind wir auf diese Menschen geradezu angewiesen, sonst stehen wir vor riesigen Problemen, vor allem mit Blick auf die drohende Altersarmut. Leider hat die Politik nicht den Mut gehabt, das bislang deutlicher zu sagen. Wir haben in Bürgerversammlungen vor Ort dieses Thema offen angesprochen und deutlich gemacht, dass sich vieles ändern muss, damit alles gut bleibt. Wir haben für eine Zuwanderungskultur mit einer offenen Haltung unserer Gesellschaft plädiert, aber auch mit der notwendigen Erwartungshaltung den Zuwanderern gegenüber. In Ludwigsburg haben wir daher bei der Flüchtlingsunterbringung auf ein starkes bürgerschaftlichen Engagement setzen können: Sehr viele Ludwigsburger haben sich aktiv für Flüchtlinge engagiert, das hat wahnsinnig geholfen.
Ludwigsburg steht im Austausch mit der ecuadorianische Stadt Yachay, sicher auch, weil der Honorarkonsul Ecuadors seinen Sitz in Ludwigsburg hat. Welchen Beitrag können internationale Städtepartnerschaften wie diese zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten?
Yachay existiert noch nicht, sie wird derzeit als „Stadt des Wissens“ auf dem Reißbrett auf dem Gebiet der 30.000-Einwohner-Stadt Urququi geplant. Dabei sollen auf einem universitären Campus, den die ecuadorianische Regierung plant, neueste Technologien eingesetzt werden. Der ecuadorianische Botschafter wollte angesichts der hohen chinesischen Präsenz in Ecuador einen starken Pol mit deutschen Technologien setzen. Der Gedanke einer Partnerschaft kam zustande, als er auf unser Innovationsnetzwerk LivingLab aufmerksam wurde und sich davon wertvolle Anregungen versprach. Wir haben in Ludwigsburg aber auch schon seit zehn Jahren ein trinationales städtepartnerschaftliches Netzwerk mit Kongoussi in Burkina Faso und Montbéliard in Frankreich. Zukunftsforscher hatten schon seit langem darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig es ist, dass wir Europäer mithelfen müssen, die Probleme Afrikas zu lösen, weil sie sonst eines Tages zu uns nach Europa kommen. Sie hatten Recht. Wenn viele Städte viele einzelne Partnerschaften haben, kann das viel bewirken. Die deutsch-französische Freundschaft ist auch deswegen so stark, weil der Austausch zwischen einzelnen Städten sie so stark gemacht hat.
Die Fragen stellte Carolyn Braun.