Kommunale Nachhaltigkeitsarbeit stärken – ganz praktisch

Welche Rahmenbedingungen brauchen Kommunen, um die globalen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen umzusetzen? Auf einer bayernweiten Nachhaltigkeitstagung im November diskutierten die Teilnehmenden konkrete Schwierigkeiten und Lösungsansätze.

Da habe es tatsächlich die eine oder andere grüne Position in den bayerischen Koalitionsvertrag geschafft, und das, obwohl die Grünen gar nicht an der neuen Landesregierung beteiligt seien – so und ähnlich fiel das Presseurteil aus, als das Kabinett von Ministerpräsident Markus Söder Anfang November seinen Fahrplan für die nächsten fünf Jahre vorlegte. Ein Indiz: Der Flächenverbrauch in Bayern solle deutlich gesenkt werden, auf eine Richtgröße von fünf Hektar pro Tag, so steht es im Koalitionsvertrag.

Wie sich nachhaltige Ansätze wie dieser dauerhaft in gesellschaftlichen und politischen Strukturen verankern lassen, war ein zentrales Thema der bayernweiten Nachhaltigkeitstagung “Nachhaltigkeit first?!” Mitte November in Augsburg. Der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger, auch Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung (RNE), sagte in seiner Eröffnungsrede: “Es gibt eine Legitimation für die unterschiedlichsten Positionen.” Und genau diese unterschiedlichsten Positionen müssten gemeinsam an einen Tisch kommen, um ihre Argumente auszutauschen – so wie er das derzeit in der Kohle-Kommission erlebe. Aber er erlebe das in dieser Form zum ersten Mal. In Deutschland fehlten die Strukturen, um einen Diskurs zwischen gegensätzlichen Positionen zu führen, dabei sei gegenseitiges Verständnis eine Bedingung für künftigen Erfolg: “Wir schaffen das nur gemeinsam.”

Wie wichtig aber sind sich ändernde politische Rahmenbedingungen? Zum Beispiel: Was ändert der neue Richtwert zum Flächenverbrauch vor Ort in den Kommunen tatsächlich? Mit ihrer Maßgabe orientiert sich die bayerische Regierungskoalition an der Deutschen Nachhaltigkeitsstrategie. Darin hat sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, täglich nicht mehr als 30 Hektar Land für den Bau von Wohnungen und Gewerbeimmobilien zu opfern – deutschlandweit und bis zum Jahr 2030. Zur Einordnung: Heute sind es mehr als doppelt zu viel, rund 88 Fußballfelder werden jeden Tag bebaut und so “verbraucht”. Auch im bayerischen Koalitionsvertrag ist allerdings nicht davon die Rede, den Flächenverbrauch für neue Siedlungs- und Verkehrsflächen gesetzlich zu begrenzen, wie dies etwa die Grünen fordern.

Wohnraum und Arbeitsplätze als Gegner des Landschaftsschutzes

Schon am Vormittag forderte Manfred Miosga, Geografie-Professor an der Universität Bayreuth, in seinem “Blitzlicht” klare, transparente Vorgaben, wie viel Fläche künftig bebaut werden dürfe: “Aber keine von der EU vorgegebene Zahl, sondern in ihrer Funktion für die Region.” Das Format der “Blitzlichter” ließ das weite Themenspektrum der Tagung in ersten Einblicken aufscheinen. Dabei gaben eine Reihe von Expertinnen und Experten in kurzen Redebeiträgen dem Publikum Denkanstöße zu Fragestellungen rund um zivilgesellschaftliches Engagement, Digitalisierung, soziale Gerechtigkeit oder eben Flächenverbrauch.

Die Foren am Nachmittag spiegelten diese Fragen erneut wider. Die Teilnehmenden fanden sich in kleineren Gruppen zusammen, für die sie sich schon im Vorfeld angemeldet hatten. “Wie schaffen wir Wohnraum und Arbeitsplätze, ohne immer weiter zu versiegeln?” diskutierte ein Workshop, der Impulse von Richard Mergner, dem BUND-Landesvorsitzenden, und von Wolfgang Rid, Professor am Institut für Stadt, Mobilität und Energie Stuttgart, erhielt. Ein Positionspapier des Bayerischen Gemeindetages diente ebenfalls als Grundlage für die Diskussion.

Und die kreiste um die Frage: Wie kommen wir zu den fünf Hektar? “Wir stehen in Bayern noch ganz am Anfang”, konstatierte Mergner. Immer noch baue man eher in die Fläche als in die Höhe, der Flächenverbrauch nehme zu, nicht ab. Der bayerische Weg der Freiwilligkeit sei gescheitert, wegen des kommunalen Wettbewerbs seien staatliche Leitlinien und Vorgaben notwendig. Er plädierte dafür, Wissen aus Ländern zu importieren, die Deutschland bereits heute beim Flächensparen etwas vormachten – etwa aus den Niederlanden.

Wolfgang Rid präsentierte im Workshop die Ergebnisse einer Studie zur “Ökologischen Siedlungsentwicklung im Raum Augsburg”. So sollten zum Beispiel Baulücken und Brachen “nachverdichtet” – also bebaut – werden. Kommunen könnten sie ausfindig machen, indem sie die Landschaft aus der Luft fotografieren und dann nach ihrer Qualität kartografieren. Aus der Praxis teilten zwei Bürgermeister aus der Region – Gerhard Siegler aus Weidenbach-Triesdorf und Roland Schmitt aus Rottendorf – ihre Erfahrungen, etwa wie wertvoll es sei, die kommunalen Mitarbeiter zu schulen, oder dass das persönliche Gespräch mit den Bürgerinnen und Bürgern Bedingung sei, wenn diese sich bereit erklären sollten, Flächen für die Nachverdichtung freizugeben.

Austausch auf dem Zukunftsmarkt und im Wandelplenum

Auch in den anderen Themenforen diskutierten die Teilnehmenden ihre Erfahrungen und Lösungsansätze, zum Beispiel bei der Frage, wie sich die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Sustainable Development Goals – SDGs) besser auf kommunaler Ebene verwirklichen lassen, wie Hochschulen als Katalysatoren für eine nachhaltige Regionalentwicklung dienen können, oder auch, ganz praktisch, wie nachhaltige Beschaffung in Kommunen funktioniert – und warum das noch viel besser laufen müsste. Die Tagung, veranstaltet vom Zentrum für nachhaltige Kommunalentwicklung in Bayern, RENN.süd, den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien für den süddeutschen Raum, und von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW), versammelte unter dem Motto “Nachhaltige Entwicklung auf kommunaler Ebene in Bayern verstärken” unterschiedliche Themenfelder, Akteure und Projekte und damit unterschiedliche Blickwinkel auf den derzeitigen Entwicklungsfortschritt.

Außerhalb der Tagungsräume, im Foyer des Augsburger Kongresszentrums, stellten sich auf dem so genannten “Zukunftsmarkt” eine Reihe von Initiativen vor, zum Beispiel der gemeinnützige Verein Cradle to Cradle, der sich auch in Regionalgruppen für eine Denkschule einsetzt, in der sich Menschen als Nützlinge auf der Erde sehen und verhalten. Oder die bayernweite Mitmachaktion “KunstWerkZukunft”, die sich mit Künstlern vernetzt hat, um gemeinsam Aufmerksamkeit für nachhaltige Lebensstile zu schaffen. Insbesondere im interaktiven Format “Wandelplenum” – in der Stunde vor der Mittagspause – zogen die Teilnehmenden von Stand zu Stand und setzen sich mit den präsentierten Ideen auseinander. An vielen Ständen sammelten sich dabei kleinere Gruppen und kamen miteinander ins Gespräch.

Bereits am Vorabend der Veranstaltung hatte das Qualitätssiegel „Projekt Nachhaltigkeit“ im Augsburger Rathaus zehn Projekte und Initiativen aus Bayern und Baden-Württemberg ausgezeichnet, die sich “innovativ und vielfältig für eine nachhaltige Entwicklung engagieren”. Nach einem Grußwort von Wolfgang Schuster, ehemaliger Stuttgarter Oberbürgermeister und RNE-Mitglied, erhielten unter anderem das Ludwigsburger NaturVision Filmfestival, das bayerische Netzwerk „Umweltschule in Europa, Internationale Agenda 21 – Schule“, die “Lokale Agenda 21 – für ein zukunftsfähiges Augsburg” diesen Preis – also Initiativen, die bewusst darauf setzen, eine breitere Öffentlichkeit für Nachhaltigkeitsthemen zu finden.